Verkaufte Demokratie

Ich weiß immer noch nicht, worüber ich mich mehr aufregen soll: über die Sache selbst, über die Tatsache, dass sie wohl rechtlich ungesühnt bleibt, oder über das öffentliche Schweigen, in dem sie versinkt wie der in den Teich geworfene Stein.

In Sachen Abgeordnetenkauf

Zwei gute Geschäftspartner

Zwei gute Geschäftspartner

Am 8. Juli, während alle Welt wie gebannt auf Griechenland starrt, kommt ein neapolitanisches Gericht in dem seit 20 Monaten laufenden Verfahren gegen Silvio Berlusconi und seinen Helfer Valter Lavitola zur Entscheidung. Beide Angeklagten werden zu jeweils drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie nach den Wahlen von 2006, die in Italien eine Mittelinks-Koalition unter Romano Prodi an die Macht brachte, Abgeordnete dieser Koalition bestachen, um die Seite zu wechseln und somit die Regierung zu Fall zu bringen. Der schwache Punkt von Prodis Koalition war damals der Senat, wo seine Mehrheit nur hauchdünn war. So war es dann auch ein Senator, bei dem Berlusconis Emissäre den Hebel ansetzten: beim ehrenwerten („Onorevole“) Sergio De Gregorio, der als Abgeordneter der Partei „Italia dei Valori“ zur Koalition gehörte. Berlusconi machte ihm (über Lavitola) das Angebot, das ein Mann wie De Gregorio nicht ablehnen konnte: 3 Mio. Euro, von denen ein Teil für ihn selbst, der Rest für die Bestechung weiterer Überläufer gedacht war, die er zusätzlich anwerben sollte. Bei Berlusconi lief das Unternehmen unter dem poetischen Namen „Operation Freiheit“, was nebenbei auch seinen Begriff von „Freiheit“ klärt (seine Partei hieß damals Popolo della Libertà, PdL – die Europäische Volkspartei, die bekanntlich die europäischen Werte hochhält und Berlusconi in ihre Reihen aufnahm, vergaß wohl zu fragen, was er damit meint). Die Investition war gut angelegt, auch wenn sie nicht sofort Wirkung zeigte: Die Prodi-Regierung zerbrach zwei Jahre später, im Senat, nach einer verlorenen Vertrauensabstimmung.

Die Sache mit der „Operation Freiheit“ flog auf, als De Gregorio 7 Jahre später einen (wie auch immer motivierten) Anfall von Ehrenhaftigkeit hatte und die ganze Geschichte der Staatsanwaltschaft erzählte. Aufgrund eines schnellen Deals wurde sein Verfahren abgetrennt und er zum Kronzeugen der Anklage. Während die Staatsanwälte für Berlusconi 5 Jahre und für Lavitola 4 Jahre und 4 Monate Gefängnis forderten, begnügten sie sich bei De Gregorio mit einer verabredeten Haftstrafe von 20 Monaten.

Die Verjährung

Eigentlich ist das Urteil eine Selbstverständlichkeit. Für eine Demokratie ist die Verhinderung des Stimmen- wie des Abgeordnetenkaufs fundamental, denn in beiden Fällen wird durch den Einsatz von Geld, das gesellschaftlich nun einmal ungleich verteilt ist, der „Wählerwille“ pervertiert. Der Nabob Berlusconi tat beides ohne Hemmung. Indem er z. B. in Kampanien mit Figuren wie Cosentino zusammen arbeitete, der ihm aufgrund seiner Verbindungen zur Mafia bei Wahlen mit ganzen Stimmpaketen zu Hilfe kam. Oder indem er, wenn dies nicht reichte, wie im Fall De Gregorio Abgeordnete aus dem gegnerischen Lager herauskaufte.

Es gibt die Auffassung, dass das Recht eine gesellschaftlich heilende Wirkung habe. Man kann mit Grund – nicht nur in Italien – bezweifeln, ob dazu allein eine intakte Justiz in der Lage ist. Aber man könnte hoffen, dass dazu das Urteil des neapolitanischen Gerichts einen kleinen Beitrag leistet. Nun der Pferdefuß: Nicht einmal dieser Trost bleibt. Denn das Urteil vom 8. Juli erging in erster Instanz, und danach führt sich das italienische Rechtssystem teilweise selbst ad absurdum. Vor allem durch den Widerspruch zwischen langen Verfahren und kurzen Verjährungsfristen, der jeden gut betuchten Angeklagten dazu einlädt, durch Verschleppen alles im Sand verlaufen lassen zu können. So auch in diesem Prozess: 90 Tage hat das Gericht für die schriftliche Urteilsbegründung Zeit. Liegt sie vor, beginnt die 45-tägige Frist für einen Widerspruch, der zur zweiten Instanz führen kann. Da vorher die Verjährungsfrist abläuft, wird es dazu gar nicht mehr kommen. Der Abgeordnetenkauf, mit dem Berlusconi den Lauf der italienischen Geschichte änderte, wird in die Archive wandern.

Die Reaktionen

Dass Berlusconi, der 20 Jahre lang Italien prägte, ein Mann ohne Rechtsbewusstsein ist, zeigt seine Reaktion auch jetzt. Ohne sich überhaupt zur Sache zu äußern, stellt er (wie immer) fest, „die wollen nur mein Image zerstören“. Seine Parteifreunde und seine Verteidiger sind aus dem gleichen Holz geschnitzt. Für sie stellt der Urteilsspruch einen Angriff auf Art. 67 der italienischen Verfassung dar, der für Abgeordnete ein imperatives Mandat verbietet. Zwar kennen fast alle westlichen Verfassungen die Gewissensfreiheit der Abgeordneten, aber sie bedeutet nirgends die Freiheit zum Abgeordnetenkauf. Für einen Berlusconi muss alles käuflich sein.

Wenn seine Anwälte jetzt andeuten, er erwäge den Verzicht auf die Verjährung, ist es eine weitere Rosstäuscherei. Denn sie schieben hinterher, dies „prüfen“ zu wollen, wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt. Das verpflichtet zu nichts und soll gut für Berlusconis Image sein. Aber er hat noch nie auf eine Verjährung verzichtet.

Ansonsten wurde das Urteil in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen – es verjährt ja sowieso. In puncto Rechtsbewusstsein prägt Berlusconi auch noch heute die italienische Öffentlichkeit. Wozu die Erfahrung kommt, dass sich auch bei seinen Nachfolgern wenig verändert hat.

PS: Uns Deutschen scheint es vielleicht unvorstellbar, dass ein Gericht einem ehemaligen Bundeskanzler bescheinigt, sich mit dem Geld aus seiner Privatschatulle die Macht erkauft zu haben. Aber ganz blütenweiß ist auch die deutsche Nachkriegsdemokratie nicht. Am 27. April 1972 überstand der damalige Kanzler Willy Brandt ein konstruktives Misstrauensvotum, mit dem ihn die CDU wegen seiner Ostpolitik aus dem Amt jagen wollte. Heute wissen wir: dank zweier gekaufter Stimmen aus dem Unionslager. Dabei hatte auch die Stasi ihre Hände im Spiel. Der damaligen Ostpolitik hat es genützt. Aber der deutschen Demokratie geschadet.

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