Forza Italia zerfällt

„Partei ohne Regeln, Leader ohne Legitimation, selbstmörderische politische Linie, Wähler auf der Flucht. Aus Forza Italia ist ein finsterer Bunker geworden“. Wer das in seinem Blog schreibt, ist nicht etwa ein Vertreter der PD, der Lega oder der Grillini, sondern Raffaele Fitto, exponierter FI-Mann mit großem Einfluss insbesondere in seiner Stammregion Apulien.

Fitto: kein Ratgeber mehr

Fitto: kein Ratgeber mehr

Die Fehden innerhalb der Partei werden immer heftiger. Und Berlusconi selbst gelingt es immer weniger, die Streithähne so weit zu disziplinieren, dass sie sich wenigstens nicht öffentlich gegenseitig zerfleischen. Sogar der eher zurückhaltende Paolo Romani, (noch) Fraktionschef der FI im Senat, beklagte neulich auf einer Parteiveranstaltung in Mailand: „Das einzige Merkmal, an dem man uns erkennt, ist unsere Zerstrittenheit“.

Die geht so weit, dass schon jetzt die Fraktionen von FI in Abgeordnetenkammer und Senat bei wichtigen Regierungsvorhaben, wie z. B. Wahlgesetz und Senatsreform, uneinheitlich wählen: die meisten dagegen, einige dafür, andere enthalten sich oder bleiben dem Wahlvorgang fern.

Kritik am „magischen Zirkel“

Für diese Zerstrittenheit gibt es mehrere Gründe: Einerseits geht es um die Positionierung gegenüber Renzi und seiner Regierung. Während Fitto und der Fraktionsvorsitzende in der Abgeordnetenkammer Brunetta für einen klaren Oppositionskurs plädieren (in der nicht unberechtigten Befürchtung, bei zu viel Schmusen mit dem forschen Ministerpräsidenten den Kürzeren zu ziehen), versuchen erfahrene Strippenzieher wie Romani und Verdini den Gesprächsfaden mit der Regierung und der PD nicht ganz abreißen zu lassen. Trotz (oder vielleicht gerade wegen) des Scheiterns des so genannten „Nazareno-Pakts“, den Berlusconi aufkündigte, nachdem Renzi ihn bei der Wahl des Staatspräsidenten vorgeführt hatte.

Es geht aber auch um die Machtverteilung innerhalb der Partei, um Posten und Kandidaturen – und damit um den Einfluss auf den Boss und seine Entscheidungen. Denn in einem Punkt sind sich alle Kritiker einig, auch wenn sie ansonsten unter sich zerstritten sind : Der gegenwärtige „magische Zirkel“ um Berlusconi sei ein Desaster für die Partei (und für sie selbst, die nicht mehr wie früher Zugang zum Chef haben). Zu diesem „Cerchio magico“, der laut Fitto einen Bunker um Berlusconi errichtet hat, gehören dessen Dauer-„Verlobte“ Francesca Pascale, die FI-Schatzmeisterin Maria Rosaria Rossi (auch „la Badante“, „Pflegerin“, genannt, weil sie den greisen Parteiführer wie ein Schatten begleitet), der zum „Consigliere“ aufgestiegene Journalist Toti und der omnipräsente Winkeladvokat Ghedini. Nach Meinung der internen Kritiker alles Leute, die von Politik keine Ahnung haben. „Glauben wir wirklich, dass die Kandidatenlisten von einer Senatorin Rossi einfach aufgestellt und wieder verworfen werden können? Glauben wir wirklich, dass Parteiführer – in Apulien, aber nicht nur dort – aus den regionalen und später aus den nationalen Wahlen ausgeschlossen werden können, nur weil sie in der parteiinternen Debatte eine eigene Meinung vertreten haben? Wo sind wir denn gelandet? Waren wir nicht – oder behaupteten wir es zumindest – eine liberale Volkspartei?“ empört sich Fitto in seinem Blog.

Von der „liberalen Volkspartei“ mal abgesehen (FI war nie eine liberale, sondern immer nur eine autoritär geführte Einpersonenpartei): Fittos Worte zeigen die Tiefe des Zerwürfnisses. Der Boss selbst hat jeglichen „Biss“ verloren, er sorgt sich vor allem – doch das ist nicht neu – um seine Prozesse und seine Unternehmen, schwankt zwischen generellem Verdruss und Rachegelüsten gegen Renzi, wie ein enttäuschter Liebhaber. Aus seiner früheren taktischen Geschicklichkeit ist launische Unberechenbarkeit geworden: Mal will er mit dem Legachef Salvini ein Bündnis schließen, dann will er wieder mit seiner Partei bei den anstehenden Regionalwahlen allein antreten und „wieder die Führung übernehmen“. Was bei Umfragewerten um 13 % (zum Vergleich: PD 37,5, Grillo 21,5, Lega 13,7 %) nach einem Pathos klingt, das etwas hohl ist.

Machtprobe in Apulien steht an

In Apulien jedenfalls sieht es nicht gerade nach Wiederübernahme der Führung aus. Im Gegenteil: dort hat der von Fitto unterstützte Kandidat für das Amt des Regionspräsidenten, Francesco Schittulli, jetzt offiziell angekündigt, dass er nicht auf der FI-Liste kandidieren wird. Er tritt mit einer eigenen Liste an, die außer von Fittos Fraktion auch von dem Nuovo Centro Destra (Renzis Koalitionspartner in der Regierung) und den rechtsextremen „Fratelli d‘ Italia“ getragen wird. Ein kurioses Bündnis von politischen Kräften, die sich ansonsten spinnefeind sind, und das den einzigen Zweck verfolgt, Berlusconi zu isolieren. Was für FI zu einem Wahldebakel führen kann und eine Abspaltung der Fitto-Fraktion wahrscheinlicher macht.

Verlässt Fitto Forza Italia, könnte es zu einem Dominoeffekt kommen, bei dem sich auch andere Unzufriedene absetzen. Das wiederum kann Berlusconi näher an die rechtsradikale Lega Nord von Salvini heranführen. Die anstehenden Regional- und Kommunalwahlen, v. a. in Norditalien, wären hierfür die nächste Etappe.

Und die EVP?

Und wie reagiert man auf europäischer Ebene auf den Zerfall der FI? Noch ist die FI, noch ist ihr rechtskräftig verurteilter Leader Mitglied der Europäischen Volkspartei. Und der Vorbestrafte hat gerade angekündigt, dass er am EVP-Gipfeltreffen teilnehmen wird, das in Mailand am 23.4. im Vorfeld der Expo-Eröffnung stattfindet. Wenn sich ein Teil der FI abspaltet und Berlusconi immer mehr mit der rechtsradikalen Lega gemeinsame Sache macht, kommt die EVP in ein Dilemma: auf der einen Seite ein geschwächter, von der Lega abhängiger Berlusconi, der an Wählerzustimmung verliert und damit als Bündnispartner uninteressanter wird; auf der anderen Seite ein ungeordneter, politisch heterogener Haufen von Berlusconi-Kritikern, der noch weit davon entfernt ist, in Italiens rechtem Lager eine Alternative darzustellen.

Man kann dem Journalisten Stefano Folli nur zustimmen, der in seiner „Repubblica“-Kolumne am 8.4. schrieb: „Keiner ist in der Lage, das schwarze Loch zu füllen, das sich rechts mit dem Ende der Berlusconi-Ära aufgetan hat“. Grillo und Salvini profitieren davon, wie aktuelle Umfragen zeigen. Und natürlich Renzi, der Hauptakteur auf Italiens politischer Bühne, der kräftig weiter daran arbeitet, arbeitet, aus der PD eine Partei zu machen, die quer zu den politischen Lagern steht und welche die Beobachter der italienischen Szene bereits „Partito di Renzi“ (PdR) nennen.