Kampanisches Trauerspiel

Die PD läuft Gefahr, eines ihrer kostbarsten demokratischen Mittel, die „Primarie“ zu verhunzen. Das tut deshalb weh, weil es bisher ihr demokratisches Alleinstellungsmerkmal gegenüber einer Rechten war, die autoritäre Verhältnisse bevorzugt. Die Verhunzung wurde schon vor anderthalb Monaten in Ligurien deutlich, wo der Renzi-Flügel rechte Parteien zur Beteiligung an den dortigen „Primarie“ einlud, um einen aussichtsreichen Kandidaten der eigenen Parteilinken aus dem Rennen zu werfen (siehe „Perversion der Primarie“, 20. 1. 2015).

Sieg eines „Suspendierten“

Der suspendierte Kandidat

Der suspendierte Kandidat

Da demnächst auch in Kampanien eine Regionalwahl stattfindet, standen auch hier bei der PD „Primarie“ an. Und hier hat sie es sogar geschafft, einen Spitzenkandidaten zu wählen, von dem eigentlich schon klar ist, dass er im Fall eines Erfolgs sein Amt gar nicht erst antritt. Weil es seit Dezember 2012 das sog. „Severino-Gesetz“ gibt, das die Parlamente und öffentlichen Ämter von den vielen Vorbestraften befreien soll, die sich dort seit der Berlusconi-Ära tummeln. Mit rechtskräftig Verurteilten verfährt das Gesetz am strengsten. Auch für Leute, die beispielsweise wegen Amtsmissbrauchs in erster Instanz verurteilt wurden, aber noch in Berufung gehen wollen, schreibt es zum Schutz der Institutionen zumindest eine 18-monatige Suspendierung vor. Die „Primarie“-Teilnehmer Kampaniens kümmerte das wenig. Sie haben gerade den ehemaligen Bürgermeister von Salerno, Vincenzo De Luca, zu ihrem Kandidaten gekürt, obwohl er im Januar erstinstanzlich wegen Amtsmissbrauchs zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Von den 157.000 Kampaniern, die sich an den „Primarie“ beteiligten, wählten ihn 52 %, in voller Kenntnis der Rechtslage. Die regionale PD-Organisation hatte vielleicht gehofft, dass sich das Problem gar nicht stellen würde, weil sein Gegenkandidat gewählt wird. Aber De Lucas Lobby erwies sich als stärker.

Damit ist geschehen, was nicht geschehen durfte. Denn bei der bevorstehenden Regionalwahl ist die PD satzungsgemäß an dieses Ergebnis gebunden, und sie muss mit ihm als Spitzenkandidaten in den Wahlkampf ziehen. Entweder De Luca verliert die Wahl, worauf man in dieser Lage eigentlich hoffen müsste, und die in Kampanien schon immer mit der Camorra verbandelte Rechte bliebe an der Macht. Oder er gewinnt sie, und dann hätte die PD erst recht ein Problem: einen von ihr präsentierten und unterstützten Wahlgewinner, von dem sie wusste, dass er sein Amt nicht antreten kann – dem Verdikt „Wählerverarschung“ könnte sie nichts entgegensetzen.

Also weg mit dem Severino-Gesetz?

Natürlich wissen De Luca und seine Anhänger genau, wie das zu verhindern ist. Das Severino-Gesetz verlangt Suspendierung? Also weg mit dem Gesetz – zumindest mit dem Teil, der auf den Fall De Luca anwendbar ist. Könnte man nicht einfach das Delikt „Amtsmissbrauch“ aus dem Katalog der Suspendierungsgründe streichen? Zumal das Vergehen, dessentwegen er jetzt in erster Instanz verurteilt wurde, als nicht besonders ehrenrührig erscheint: 2010 hatte ihn die damalige Regierung Prodi als Kommissar für Kampanien bestellt, und in dieser Eigenschaft hatte er aus seinem persönlichen Stab für eine geplante Müllverbrennungsanlage einen sog. Projektmanager rekrutiert, der nicht über die nötige Qualifikation verfügte, und mit einem zu hohen Gehalt. Das sei „Amtsmissbrauch“ gewesen, und „Vergeudung öffentlicher Mittel“, befand das Gericht, und verurteilte De Luca zu einem Jahr Gefängnis. Aber ganz so schwerwiegend fand es dann dies Vergehen wohl doch nicht, denn es setzte den Vollzug dieser Strafe aus.

De Lucas Pech ist es, dass infolge des Severino-Gesetzes dieses Urteil zur Suspendierung ausreicht. Und dass leider seine Forderung, dann eben dieses Gesetz neu zu schreiben, fatale Assoziationen an die Berlusconi-Ära erweckt, in der solche Gesetzesänderungen „ad personam“ an der Tagesordnung waren. Womit gerade auch das Severino-Gesetz, und zwar mit Zustimmung der PD, brechen wollte. Weshalb jetzt Renzi die „heiße Kartoffel“ erst einmal von sich wegschob: Die Regierung werde keine solche Gesetzesinitiative ergreifen. Etwas anderes sei es natürlich, wenn eine solche Initiative aus dem Parlament käme. Die Abschaffung oder Veränderung des Severino-Gesetzes wäre in der Tat kein Problem, denn zusammen mit Berlusconis FI, die sowieso nichts lieber sähe als die Abschaffung des Severino-Gesetzes, verfügt die PD über eine satte parlamentarische Mehrheit. Das Angebot ist jedoch vergiftet. Denn den Anspruch, eine moralische Alternative zum Berlusconismus zu sein, würde die PD damit aufgeben.

Spagat der PD

Über den „Primarie“ der PD schwebt nicht nur in Ligurien, sondern auch in Kampanien ein Unstern. Viermal wurden sie in diesem Frühjahr schon verschoben, aber nur mit dem Ergebnis, dass die Kandidaten, die vielleicht für eine erneuerte PD hätten stehen konnten, ausstiegen. Übrig blieben zwei Kandidaten, die für die „alten“ Seilschaften standen: De Luca und der Europa-Abgeordnete Cozzolini, der schon 2011 beim Versuch, zum PD-Kandidaten für das neapolitanische Bürgermeisteramt zu werden, allzusehr in Camorra-Nähe geriet (weswegen die damaligen „Primarie“ annulliert wurden). Wenige Stunden, bevor jetzt die PD-Wahllokale ihre Tore öffneten, ließ Roberto Saviano noch über Internet einen Appell zum Wahlboykott los: Erstens würden diese Wahlen sowieso nur durch gekaufte Stimmen entschieden, und zweitens seien die verbliebenen Kandidaten „Ausdruck der Politik der Vergangenheit“ („Vergeudung, gewaltige Irrtümer wie der Sondermüll und eine absurde Verwendung von Euro-Fonds“). Aber die knapp 160.000 Kampanier, die sich dann doch an den Primarie beteiligten, waren zu viele. Die PD befindet sich jetzt im unerfreulichen Spagat zwischen der Verteidigung des Mehrheitswillens der eigenen Basis und eines Anti-Korruptions-Gesetzes, das sie selbst mit beschlossen hat.

Erneut stellt sich die Frage, warum die römische Parteizentrale nicht die Kraft findet, für die Primarie verbindliche Regularien zu schaffen. Regularien, die z. B. vorsehen müssten, dass niemand kandidieren darf, der unter das Severino-Gesetz fällt. Dafür letztlich verantwortlich ist Matteo Renzi, denn er ist nicht nur Regierungschef, sondern auch PD-Generalsekretär. In der einen Rolle gibt er den dynamischen Erneuerer. In der anderen lässt er die Zügel schleifen. Und fällt damit auch dem Erneuerer in den Rücken, denn um Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen die Korruption geht es auch in der eigenen Partei.