Affentheater

Man behauptet, dass von allen Arten, ein Land zu regieren, die demokratische noch die am wenigsten schlechte sei. Eine Behauptung, die in Italien gerade einer harten Prüfung unterzogen wird.

Das Projekt Senatsreform

Auf Renzis Reform-Agenda steht die Abschaffung des „perfekten“ Zweikammersystems („Bikameralismus“) ganz oben. In Zukunft soll nicht mehr der Senat, sondern nur noch die Abgeordnetenkammer für die Regierungsbildung und den größten Teil der Gesetzgebung zuständig sein. Es geht um die Regierbarkeit – bisher kam es in beiden Kammern oft zu unterschiedlichen, sich gegenseitig blockierenden Mehrheiten.

Vor Monaten einigte sich Renzi mit Berlusconi auf die Grundzüge einer Reform, die den „perfekten Bikameralismus“ abschaffen soll. Theoretisch kann sich das Vorhaben auf eine sichere Mehrheit stützen. Die Vereinbarung enthält anfechtbare Details – z. B. ob es noch eine Direktwahl der Senatoren gibt, ob sie die gleiche Immunität wie Parlamentsabgeordnete genießen sollen usw.

2 Bände Veränderungsanträge

2 Bände Veränderungsanträge

Normalerweise bündelt die Opposition ihren Dissens zu Alternativvorschlägen. Aber Grillos 5-Sterne-Bewegung, SEL und Lega entschieden sich stattdessen für 7800 Änderungsanträge. Allein die kleine SEL, die bei der letzten Wahl 3,2 % der Stimmen erhielt, produzierte davon 5900. Da im Prinzip jeder Änderungsantrag einzeln zu beraten und abzustimmen ist, nennt man das auch „Obstruktionismus“: Das einzig erkennbare Ziel ist es, die Endabstimmung so weit wie möglich hinauszuzögern. In diesem Fall könnte es die parlamentarische Arbeit mindestens bis Ende 2014 – andere sagen: bis Ende 2015 – lahm legen. Der normale Menschenverstand spricht dafür, dies Verfahren nur in Ausnahmefällen anzuwenden, z. B. wenn ein Staatsbankrott oder eine Diktatur droht. Aber wir befinden uns in Italien, wo die Neigung, aus jedem Dissens eine Glaubensfrage zu machen, groß ist. Ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.

Abwehrkampf gegen Obstruktionismus

Nun gibt es im Senat eine Mehrheit, die sich dem nicht widerstandslos ergeben will, und einen Renzi, der die von ihm geweckten Reformhoffnungen nicht enttäuschen will. Als erste Antwort wurde deshalb am Mittwoch dem Senat eine Zeitagenda vorgelegt, welche die Senatsreform nun doch bis Mitte August durchbringen will. Dafür müsse der Senat eben täglich von 9 bis 24 Uhr tagen, auch am Wochenende und notfalls auch nachts. Eigentlich musste Forza Italia den Vorschlag unterstützen. Denn der von seinem Ruby-Freispruch siegestrunkene Berlusconi will sich als „Vater des Vaterlands“ profilieren. Vielleicht bekommt er dann vom Staatspräsidenten noch die erhoffte Begnadigung – nicht nur für alle bereits rechtskräftigen, sondern auch zukünftigen Verurteilungen. Bei seinen Verdiensten!

Aber einmal mehr zeigt sich, wie dünn das Eis ist, auf dem sich das Reformvorhaben bewegt. Dem FI-Fraktionsführer im Senat, Brunetta, passt die ganze Vereinbarung nicht. Also streut er Sand ins Getriebe. Die Gelegenheit bietet sich, als das Parlament über die Aufhebung der Immunität für den FI-Abgeordneten Galan abzustimmen hat, der wegen des venezianischen Korruptionsskandals „Mose“ in U-Haft kommen soll. Da Galan gerade im Krankenhaus lag, fragte ein Mitglied der FI-Fraktionsführung informell bei der PD an, ob man die Abstimmung nicht um eine Woche verschieben könne, damit Galan die Möglichkeit hat, sich selbst vor der Kammer zu verteidigen. Renzi zeigt sich nicht abgeneigt. Aber der auf Krawall gebürstete Brunetta macht aus der Anfrage ein Ultimatum: Werde die Abstimmung nicht verschoben, sei für die FI Schluss mit der Reform. Nun schaltet Renzi auf stur: „Wir lassen uns nicht erpressen“. Die Abstimmung über Galans Immunität findet zum geplanten Termin statt, er landet in Untersuchungshaft. Aus Rache stimmt die FI-Fraktion gegen die Arbeitsagenda für den Senat. Obwohl alle wissen, dass es die ganze Reform in Frage stellt. Mit hauchdünner Mehrheit kommt sie trotzdem durch. Noch einmal Glück gehabt.

Ist der Senat der Gaza-Streifen?

Am Freitag beraten die Fraktionsführungen der Regierungsparteien erneut, das am Mittwoch beschlossene Verfahren scheint ihnen zu unsicher zu sein. Nun wird beschlossen, bis zum 8. August müsse das Verfahren im Senat abgeschlossen sein, wofür die Stellungnahmen der Fraktionen zeitlich „kontingentiert“ werden. Dies soll dadurch kompensiert werden, dass zum Schluss das Volk in einem Referendum das letzte Wort hat. Im Senat ist die Hölle los. Das sei die „autoritäre Wende“, schreit die Opposition. Die Abgeordneten der 5-Sterne-Bewegung, Lega und SEL verlassen demonstrativ die Sitzung und marschieren zum Quirinal, dem Sitz des Staatspräsidenten (der sie nicht empfängt, weil er „indisponiert“ sei).

Währenddessen werden die Meldungen über die Situation der italienischen Wirtschaft immer beunruhigender. Die Stagnation hält an, immer mehr Unternehmen schließen. Und die Katastrophenmeldungen aus aller Welt (Ukraine, Syrien, Irak, Israel und Gaza-Streifen) häufen sich.

Für die Akteure auf der italienischen Bühne sind sie nur eines: Requisiten, um die Farce, die sie aufführen, als Drama erscheinen zu lassen. Ein grillinischer Senator twittert, „Renzi macht den Senat zu seinem Gaza-Streifen“. Ein anderer ergänzt: „In Gaza sterben Bürger und Soldaten, in Italien stirbt die Demokratie“. Man motzt die eigene Armseligkeit auf, indem man sich mit fremden humanitären Katastrophen schmückt und mit deren Opfern gleichsetzt. Zur Erinnerung, worum es geht: Renzi versucht, seine Reform zu retten.

Renzi bleibt ein Trumpf, den er in den letzten Wochen immer öfter vorzeigt: Wenn er bei seinem ersten großen Reformvorhaben scheitert, gibt es Neuwahlen. Es ist ein Trumpf-As, denn die Umfragen sprechen dafür, dass er damit in beiden Kammern die absolute Mehrheit einfahren könnte. Je größer der Widerstand ist, auf den er im Parlament und sogar in seiner eigenen Partei stößt, desto mehr wächst sein Ansehen im Volk. Auch der Staatspräsident, mit dem Renzi sein Vorgehen ständig abstimmt, würde solchen Neuwahlen wohl zustimmen.