Berlusconi, Deutschland und die EVP

Berlusconi sagte am 26. April während einer Mailänder Veranstaltung seiner Partei „Forza Italia“: „Für die Deutschen hat es ja nie KZs gegeben. Die von Putin, Verzeihung von Katyn, die ja. Aber die in Deutschland, nein“. Als Reaktion auf diese Auslassungen schrieb Gad Lerner am 27. April in der „Repubblica“ (Überschrift „Populistischer Blödsinn für ein paar Stimmen“):

„Wenn Berlusconi anfängt, Sprüche über die Deutschen zu klopfen, denen zufolge ‚KZs nie existierten’, zeigt es nicht nur Ignoranz: Die historische Fälschung wird zur unzulässigen Propagandawaffe, zum grotesken Willen, eine bereits gefährdete europäische Architektur zu zerstören.

Scheinbarer Naivling

B. gedenkt der Shoah

B. gedenkt der Shoah

Nur um einen politischen Gegner zu treffen, den Sozialdemokraten Martin Schulz, der vor zwei Tagen die Villa Migone in Genua besuchte – in der vor 69 Jahren der deutsche General Gunther Meinhold die bedingungslose Kapitulation vor den Partisanen unterschrieb -, provoziert er einen diplomatischen Zwischenfall. Und zwar als Naivling, mir der spöttischen Intonation, die ihn gegenüber der historischen Tragödie, mit der er sich messen will, noch kleiner macht. Wie an jenem 27. Januar 2013, an dem er in der ersten Reihe der Mailänder Gedenkveranstaltung für die Shoah einschlief, nachdem er Mussolini einen ‚Leader’ genannt hatte, ‚der viel Gutes tat’.

Die Tölpelhaftigkeit seines Verhaltens könnte uns dazu verführen, dessen Gefährlichkeit zu unterschätzen. Er faselt: ‚Für die Deutschen hat es ja nie KZs gegeben. Die von Putin, Verzeihung von Katyn, die ja. Aber die in Deutschland, nein’. Um zu unterstellen, dass sich die Deutschen nur an das sowjetische Verbrechen erinnern, nicht aber an die der Nazis. Und er gefällt sich darin, auf die ‚tolle öffentliche Werbung’ für Martin Schulz hinzuweisen, als er ihn (im Europaparlament, A.d.R.) einen ‚Kapo’ nannte, ‚um ihm großzügigerweise die Chance zu Fernsehauftritten zu geben’. Es kann sein, dass er wirklich nichts begreift, wenn er sich auf seine ‚bekannte Ironie’ beruft: ‚Ich lächelte dabei, ich habe gescherzt’… Für ihn sind die Vernichtungslager höchstens Anlass für Witze.

Projektion eigener Laster

Der Mann, der zwei Jahrzehnte lang unser Land international diskreditiert hat, ist auch der lebende Beweis für den kulturellen Schaden, den eine Gemeinschaft anrichtete, die sich nicht ihrer eigenen historischen Schuld stellen will. Als ein Meister der Nachsicht sich selbst gegenüber, als typischer Vertreter eines Italiens, das die Verantwortung für den Faschismus minimiert und ständig wiederholt, dass wir eigentlich immer ‚anständig’ waren, scheint es ihm ganz natürlich, auf andere das Laster zu projizieren, das er bei sich selbst kultiviert.“

(Es folgen Beispiele für die andere Art und Weise, wie man in Deutschland mit der eigenen historischen Schuld umgeht. Dann weiter Lerner:) „Dass dieses Deutschland heute wieder im Zentrum einer bitteren Kontroverse um die europäische Zukunft steht, sollte Leader mit Verantwortung dazu veranlassen, auf die Instrumentalisierung noch nicht verheilter Wunden zu verzichten. Es ist eine Sache, die von Angela Merkel verkörperte Austeritätspolitik zu kritisieren (die übrigens der gleichen europolitischen Formation wie Berlusconi angehört, zumindest bis sich die EVP entschließt, Forza Italia aus ihren Reihen auszuschließen). Etwas ganz anderes ist es, einen Exponenten der Linken als ‚Nazi’ abzustempeln, dessen einzige ‚Schuld’ darin besteht, ein Deutscher zu sein.

Erbärmliches Kalkül

Es ist ein erbärmliches und verantwortungsloses Kalkül, das sich hinter Berlusconis Blödsinn verbirgt: ein populäres antideutsches Ressentiment zu bedienen, in der Hoffnung, damit eine weitere Handvoll von Stimmen einzusacken. Einmal mehr ist der Ansatzpunkt für den rechten Populismus die Verachtung der eigenen Wählerschaft, die man für ebenso ignorant und zynisch wie ihren Leader hält. Ohne sich um die zerstörerischen Konsequenzen zu kümmern, die eine solche Konfrontation für das Gleichgewicht eines Kontinents haben könnte, der schon zur Genüge von der wirtschaftlichen Krise und der Rückkehr ethnischer Nationalismen zerrissen ist.

Die Empörung, auf welche die Auslassungen Berlusconis in der EVP stoßen, die immer noch würdelos genug ist, ihn in ihren Reihen zu dulden, müsste ihn eigentlich zu einer Entschuldigung veranlassen. Aber dafür hat er sich ein zu dickes Fell zugelegt.“

Nachbemerkung der Redaktion: Am Tag, an dem Gad Lerners Artikel in der „Repubblica“ erschien, plauderte ihr gegenüber auch die deutsche EVP-Abgeordnete Ingeborg Grässle aus, warum die EVP Berlusconi noch eine Heimat bietet: „Wenn er aus der EVP ausschiede, liefe sie Gefahr, hinter der Sozialistischen Partei im Europarlament nur noch die Nummer zwei zu sein. Das würde Martin Schulz den Weg ebnen, um Präsident der Europäischen Kommission zu werden. Eine Möglichkeit, gegen die wir deutschen Christdemokraten mit all unserer Kraft ankämpfen“. Für dieses edle Ziel paktiert die EVP lieber mit dem vorbestraften Mussolini-Freund Berlusconi. Niemandem in dem Verein scheint aufzufallen, wie zynisch das Kalkül ist. Die „Repubblica“ stellt Ingeborg Grässle als „gute Freundin Angela Merkels“ vor.

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