Wettlauf mit dem Chaos

Parlamentspräsidentin Laura Boldrini

Parlamentspräsidentin Laura Boldrini

Trotz anfänglicher Zweifel bewundere ich inzwischen die italienische Parlamentspräsidentin Laura Boldrini. Für das Amt, das sie ausübt, wirkt sie fast noch zu jung (obwohl sie schon über 50 ist). Grillo hasst sie mit dem größten Teil seiner „Bewegung“ und gab sie in seinem Blog vor ein paar Tagen mit folgender Frage an seine Leser zum Abschuss frei: „Was würdest du mit der Boldrini machen, wenn du mit ihr allein im Auto wärst?“ Die Schlammlawine, die er damit lostrat, veranlasste sogar seine Blog-Pfleger, die schlimmsten Auswüchse einen Tag später wieder zu löschen (Beispiel: „Ich würde sie in ein Roma-Lager bringen, damit sie vom dortigen Dorf-Chef durchgefickt wird“ – Grillos Blog vereint Sexisten und Rassisten). Der persönliche Terror ist bei Grillo mittlerweile Methode, nicht nur gegen kritische Journalisten – er wandte sie zu oft an, um noch glaubwürdig den Überraschten spielen zu können.

Die zwei Fehler der Boldrini

Für Grillo hat Laura Boldrini zwei Defekte, die er ihr nicht verzeiht. Zunächst verkörpert sie das Parlament und damit die Kerninstitution der repräsentativen Demokratie, die Grillo bekämpft und in die seine Truppe sowieso nur wie in Feindesland einzog. Da Grillo die Parteien für „tot“ erklärt, diese aber respektloserweise noch lebendig sind, muss eben nachgeholfen werden. Zum Beispiel indem die parlamentarische Arbeit lahmgelegt wird. Man kann über die Güte der Gesetze streiten, die jeweils zur Abstimmung stehen. Aber wenn die Grillini beschlossen haben, dass die Gesetzvorlagen abzulehnen sind, steigen sie aufs Dach, hindern andere Abgeordnete am Betreten der Sitzungsräume, greifen zur Filibustertaktik, stürmen vor der Abstimmung das Präsidium. Wenn dann Laura Boldrini das Funktionieren des Parlaments verteidigt, ist sie parteiisch und muss weg, ist ja logisch.

Der zweite Defekt ist die Person der Boldrini selbst. Ihre Schuld besteht darin, nicht Grillos Bild der politischen „Kaste“ zu entsprechen: Sie arbeitete jahrzehntelang für verschiedene UNO-Organisationen, zuletzt im Flüchtlingskommissariat der UNHCR. Und entschloss sich erst 2012, als Seiteneinsteigerin für das italienische Parlament zu kandidieren, auf der Liste von Vendolas „linker“ SEL, die mit der PD bei der Wahl ein Bündnis einging. Nach der Wahl galt es als taktische Meisterleistung des noch amtierenden PD-Generalsekretärs Bersani, keinen von den etablierten PD-Honoratioren für das Amt des Parlamentspräsidenten vorzuschlagen, sondern eben Laura Boldrini. Wohl auch in der Hoffnung, mit der 5-Sterne-Bewegung, die damals noch eine potenziell fortschrittliche Kraft zu sein schien, zumindest eine Übergangsregierung bilden zu können. Boldrinis Kandidatur war ein Angebot an Grillo. Und zu Grillos Ärger wählte sie auch ein Teil der M5S-Fraktion.

Umso unversöhnlicher bekämpft sie seitdem Grillo. Sein Weltbild lebt von der Nicht-Unterscheidung: Berlusconi und PD sind gleich, in der PD gibt es keine Unterschiede. Was sich diesem Weltbild nicht fügt, wird durch das eigene Handeln gleich gemacht. Also werden vor allem diejenigen bekämpft, die auf der Gegenseite noch als Brücke zum eigenen Lager erscheinen (zumal Boldrinis Engagement für Flüchtlinge bei Grillo keine Empfehlung ist). Reinheit und Wahrheit gibt es nur hier. Leute wie die Boldrini, das sind die schlimmsten.

Die Falle der Komplizität

Grillo rüstet sich für den bevorstehenden Europawahlkampf und will dort einen großen Sieg einfahren, mit dem wachsenden Zorn auf EU und Deutschland im Rücken. Hoffentlich geht seine Rechnung nicht auf. Aber einen politischen Erfolg kann er vorweisen: Abgesehen von ein paar Dissidenten hat er seine eigene Fraktion auf Vordermann gebracht. Die Indianerspiele, die er ihnen in beiden Kammern abverlangt, erzeugen trotz ihrer Infantilität Komplizentum, und das stärkt den Korpsgeist. Jetzt übertrumpfen einzelne Abgeordnete sogar den eigenen Chef. Während einer Rauferei im Parlament schrie ein grillinischer Abgeordneter mit hochrotem Kopf PD-Frauen an: „Ihr seid doch nur hier, weil ihr gut im Oralsex seid“ (er sagte nicht „Oralsex“, sondern benutzte den zugehörigen Vulgärausdruck). Und verteidigte dies hinterher damit, er habe „doch nur gesagt, was alle Italiener denken“. Womit er vor allem über sich selbst etwas verriet: seine sexistische Frauenverachtung, seine eigene Erbärmlichkeit. Und auch etwas über seinen Chef, der kurz darauf die Frage in den Blog stellte, was man mit der Boldrini anfangen solle, wenn man sie im eigenen Auto vorfinde. Was bei Berlusconi schmierig war, wiederholt Grillo brutal. Ihnen gemeinsam ist der autoritäre Sexismus.

Ein Wettlauf?

Währenddessen müht sich Renzi weiterhin damit ab, mit Berlusconi ein neues Wahlgesetz auszuhandeln, das B. einmal mehr den eigenen Bedürfnissen anpasst. Wer sich das gegenwärtige italienische Theater anschaut, hat den Eindruck, zwischen Pest und Cholera geraten zu sein: zwischen den mühseligen und in vieler Hinsicht unzulänglichen Versuch, dem Land einen Rest von Reformfähigkeit zu retten, und den Versuch, genau dies zu verhindern, auch wenn dabei das Land endgültig im Chaos versinkt. Es ist ein Wettlauf, dessen Protagonisten die PD, Grillos 5-Sterne-Bewegung und ein vorbestrafter Dritter sind. Für die PD eine schöne Gesellschaft. Der Sieg ist noch zu vergeben. Aber die Gräben, die der Wettlauf aufreißt, werden immer tiefer.

Nachbemerkung


Zum Indianerspiel gehört auch das Impeachment-Verfahren, das Grillos 5-Sterne-Bewegung inzwischen gegen Staatspräsident Napolitano in Gang setzte. Alle Welt weiß, dass es keine Chance hat, weil es laut Verfassung Hochverrat voraussetzt. Grillo hat es trotzdem eingeleitet, um der öffentlichen Demontage willen.


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