Berlusconis „Decadenza“

Nun ist es also geschehen: B. hat sein Abgeordnetenmandat verloren („decadenza“), der Senat stellte sich am Mittwoch mehrheitlich hinter das Votum seines Immunitätsausschusses. Weil es ein Gesetz gibt, das allen Straftätern, die zu mehr als 2 Jahren Gefängnis verurteilt wurden, 6 Jahre lang die Ausübung eines Abgeordneten-Mandats verbietet und B. in diesem Sommer rechtskräftig wegen Steuerbetrugs zu 4 Jahren verurteilt wurde. Um 17 Uhr 43 wies der Senat mit 194 zu 112 Stimmen auch den letzten Gegenantrag ab, B. war draußen. Sicherlich kein alltäglicher Vorgang, denn immerhin war er noch in diesem Frühjahr von jedem dritten Italiener, jeder dritten Italienerin gewählt worden Aber was soll man tun, wenn die Menschen – ziemlich wissentlich – jemanden wählen, der sich außerhalb des Gesetzes stellt?

Der entscheidende Mittwoch

Der Mittwoch versprach interessant zu werden. Denn parallel zur Senatssitzung, die B.s Mandatsverslust absegnete, hatte er in Rom eine Gegenkundgebung anberaumt. Zunächst schien er sich die Sache so vorzustellen: Er hält im Senat eine große staatsmännische Rede, während sich draußen Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen versammeln, um sein Verbleiben zu fordern. Da er die Parole ausgegeben hatte, sein Mandatsverlust sei ein „Staatsstreich“ („Colpo di Stato“) – eine Situation, in der einem freiheitsliebenden Volk bekanntlich alles erlaubt ist -, schien auch plötzlich alles möglich. So soll die Polizei Vorkehrungen getroffen haben, damit sich B.s versammeltes Volk nicht plötzlich „spontan“ auf den Weg zum Senat machte.

Berlusconi als Opfer der Roten Brigaden

Berlusconi als Opfer der Roten Brigaden

Aber zu B.s Repertoire gehört nicht nur der Staatsmann, sondern auch der Populist, und im letzten Moment entschied er sich Mittwoch für den Populisten – um sich die Demütigung zu ersparen, sofort nach der Senatsabstimmung höflich von Saalordnern zum Ausgang geleitet zu werden. Also redete er draußen lieber vor seinem „Volk“, von dem allerdings nur 20 000 erschienen waren, obwohl die Busse (auf Kosten von B.!) aus ganz Italien kamen. Zum Trost hatten sie Plakate mitgebracht, die ihn als Opfer des „Staatsstreichs“ und der „Roten Brigaden“ darstellten. Aber außer den üblichen Tiraden gegen Justiz und Kommunisten fiel B. kaum Neues ein – es sei den, man hält Feststellungen wie „wir sind hier“, „ich werde mich jetzt in kein Kloster zurückziehen“ und „das ist erst der Anfang“ für solche Neuigkeiten In Vorwegnahme des Mandatsentzugs zog er einen überraschend bescheidenen Vergleich: Wie Renzi und Grillo werde auch er ab sofort seine Bewegung von außen leiten.

Der Mandatsentzug ist ein Sieg für den Rechtsstaat und eine Widerlegung all derer, die Italien für einen verfaulten Bananenstaat halten. Er kam zustande, weil in diesem Fall die PD und Grillos 5-Sterne-Bewegung einmal zusammen gingen. Da man in solchen Momenten einen Moment lang innehalten muss, entkorkten meine Frau und ich an diesem Abend eine Flasche unseres besten Rotweins und stießen darauf an.

Einschränkungen

Leider muss die Freude verhalten bleiben. Die erste Einschränkung bezieht sich auf das Verfahren, mit dem der Senat über B.s Amtsenthebung abstimmte. Hier hatte B.s Lager geheime Abstimmung beantragt, während Grillos 5-Sterne-Bewegung und die PD eine öffentliche Abstimmung durchsetzten. Man kann sich streiten, ob es sich dabei um eine nicht ganz saubere Entscheidung „ad personam“ handelte – ad personam von B., dem Multi-Milliardär, der ja auch schon früher Abgeordnete mit Millionen-Beträgen bestochen und zu sich rübergezogen haben soll (ein Gerichtsverfahren beginnt gerade). Hier ist Transparenz ein Notpflaster gegen den noch lange nicht überwundenen Berlusconismus.

Die zweite Einschränkung betrifft die Gruppe um Alfano, welche Letta zum Überleben seiner Regierung braucht. Dass sie sich bei der Abstimmung über die „Dekadenz“ noch einmal auf B.s Seite schlug, spricht nicht gerade für rechtsstaatliches Bewusstsein. Keine gute Ausgangsposition für eine Regierung, auf deren Agenda z. B. auch eine dringend notwendige Justizreform steht. Obwohl sich Alfanos Truppe „Nuovo Centrodestra“ (NCD) nennt, scheint sie nicht im Traum daran zu denken, eine Alternative zur bisherigen Rechten aufbauen zu wollen Stattdessen bekennt sie sich weiterhin zu B.s Führerschaft, was unter anderem heißt, dass sie zu den nächsten Wahlen zwar als eigenständige Partei, aber im Bündnis mit B.s neuer Forza Italia (FI) antreten will. Aufgrund der letzten Meinungsumfragen könnte die „Spaltung“ sogar die Wahl-Aussichten des rechten Lagers insgesamt verbessern: Die NCD nimmt zwar der FI ein paar Prozent weg, gewinnt aber im Zentrum weitere hinzu, so dass in der Summe beide Formationen (samt Lega) vor Mittelinks wieder die Nase vorn haben. Was auch die Beißhemmung erklärt, die B. noch gegenüber den „Verrätern“ an den Tag legt.

Die dritte Einschränkung betrifft B.s mediale Herrschaft, über die er im Bereich des Privatfernsehens fast uneingeschränkt verfügt und die er im Bereich des staatlichen Fernsehens durch eine jahrzehntelange gezielte Personalpolitik unterstützte. Auch sein Charisma ist noch lange nicht gebrochen. Eines der Plakate auf der Mittwoch-Kundgebung lautete: „Den Cavaliere diskutiert man nicht, man liebt ihn“.

Und schließlich die letzte und wichtigste Einschränkung: Letta hat Recht, wenn er sagt, dass die Austeritätspolitik, die Brüssel und Berlin den südeuropäischen Ländern diktiert, Rattenfängern wie B. die Menschen zutreibt. Da kann B. sogar die Verbannung aus dem Parlament nützen, denn es entfernt ihn vom „Establishment“.

Nachbemerkung: In der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch hat der Senat schon einmal die neue verschlankte Regierungskoalition probiert: bei der Abstimmung über den Haushalt für 2014, die Letta mit der Vertrauensfrage verband. Dabei kam es zur offiziellen Spaltung der bisherigen PdL-Fraktion: Die NCD stimmte mit Ja, Forza Italia mit Nein. Was zweierlei bedeutet: Der Haushaltsplan wurde im Senat mit 171 zu 135 Stimmen angenommen und geht nun in die Abgeordneten-Kammer, in der Mittelinks über eine sichere Mehrheit verfügt. Und B. geht in die Opposition. Italien bleibt „regierungsfähig“. Vorläufig.

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