Korruption? Doch nicht bei uns!

Wir erregen uns über die Korruption in Italien. Die deutsche Öffentlichkeit tut es, unser Blog tut es. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung ist politische Korruption die „missbräuchliche Nutzung eines öffentlichen Amtes zum eigenen privaten Vorteil oder zugunsten Dritter“, z. B. einer politischen Partei, und zwar „in der Regel zum Schaden der Allgemeinheit“. Im berühmten Tangentopoli-Skandal finanzierten italienische Politiker ihre Parteien durch den „Verkauf“ von Staatsaufträgen.

Aber das war ja Italien, nicht Deutschland.

Der 690 000 Euro-Deal

Nun geschah bei uns dies: Am 14. 10. verhinderte die Bundesregierung einen EU-Beschluss, ab 2020 europaweit die Abgasgrenzwerte für PKWs zu senken. Ein Kompromiss schien schon ausgehandelt, aber die Bundesregierung blockierte ihn. Schon zum zweiten Mal, beim ersten Mal hatte die Bundeskanzlerin persönlich ihr Veto eingelegt.

 Die Quandt-Familie: zusammen 690.000

Die Quandt-Familie: zusammen 690.000

Einen Tag später, am 15. 10., wurde bekannt, dass kurz zuvor Johanna Quandt und ihre beiden Kinder Stefan und Susanne eine persönliche Spende von jeweils 230 000 € an die CDU überwiesen hatten, zusammen also 690 000 €. Die Quandt-Familie ist Großaktionär von BMW, sie verfügt über 46,7 % der Aktien (der Rest ist Streubesitz). Zusammen mit Mercedes und Audi produziert BMW die Oberklassewagen, welche vor allem von der EU-Anforderung betroffen wären.

Von Familie Quandt, Bundesregierung und CDU hören wir, mit Korruption habe das nichts zu tun. Das zeitliche Zusammentreffen der Spende mit der Blockade des EU-Beschlusses sei reiner Zufall gewesen. Dass alle drei Familienmitglieder ihre Liebe zur CDU gleichzeitig wiederentdeckten und jeder von ihnen die gleiche Summe überwies: Zufall. Und die Stückelung fand nicht etwa statt, um die gesamten 690 000 € harmloser erscheinen zu lassen. Solche Tricks gibt es nur in Italien.

Zumal die Quandt-Familie erklärt, dass der Beschluss zu dieser Spende ja schon zu Jahresanfang fiel, man habe nur erst einmal die Wahl abwarten wollen. Die CDU-Zentrale ergänzt, Familie Quandt unterstütze die Partei ja schon seit Jahren.

Nun sind wir aber beruhigt. Aus italienischen Untersuchungen wissen wir, dass sich die politische Korruption von heute nicht mehr auf die einmalige Bestechung zum Zwecke der einmaligen Vorteilsnahme reduzieren lässt. Die Beziehung Bestecher – Bestochene sei langfristiger, strategischer geworden, während sich die kausale Bindung der einzelnen Zuwendung an die einzelne politische Gegenleistung lockert (was auch die gerichtliche Verfolgung erschwert). Aber das gilt natürlich nur für Italien.

Deutscher Deal, europäische Wirkung

Scherz beiseite. Wir berichteten kürzlich über Barbara Spinellis Überlegungen zum deutschen „Neonationalismus“ („Ein italienischer Blick auf Merkel“, 8. 10.). Für sie äußert sich heute deutsche „Vorherrschaft“ vor allem in dem Dogma, dass jedes Land erst die eigenen „Hausaufgaben“ machen müsse, bevor es europäische Solidarität in Anspruch nehmen könne. Die Spinelli ist eine vornehme Dame, und deshalb übersieht sie eine naheliegendere und profanere Variante. Nennen wir sie aus Zartgefühl nicht „Korruption“ (die es per definitionem ja nur in Italien gibt), sondern „Freundschaft“ und „Parallelität der Interessen“, was sich da zwischen CDU und BMW (und den anderen großen Automobil-Konzernen) herausgebildet hat. Wobei wir nicht vergessen wollen, dass auch die SPD schon einmal einen „Autokanzler“ stellte. Und auch bei den gerade stattfindenden Koalitionsverhandlungen scheint die Merkelsche Abgas-Politik kein Thema zu sein.

Die Pakt zwischen Politik und Autoindustrie, in Deutschland geschlossen und mit 690 000 € besiegelt, blockiert den ökologischen Fortschritt ganz Europas. BMW, Mercedes und Audi müssen ja europaweit verkauft werden. Das ist deutsche Vorherrschaft, anno 2013.

PS: Ach ja, ich vergaß die „Arbeitsplätze“. Peter Altmeier, unser gemütlicher Umweltminister (CDU), begründete die deutsche Blockade auch damit, dass wir „nicht Arbeitsplätze an Länder verlieren (dürfen), die weniger Umweltschutz betreiben“. Wie doch ein Vorreiter um die Ecke denken muss: Da Deutschland beim Umweltschutz vorne ist, muss Europa in diesem Punkt hinten bleiben. Wegen der Arbeitsplätze. Schon deshalb ist der 690 000 Euro-Scheck auch keine Korruption. Die müsste ja laut Bundeszentrale „in der Regel zum Schaden der Allgemeinheit“ sein. Schaden deutsche Arbeitsplätze (deutscher) Allgemeinheit? Eben!