Grillos Versagen

Am 1. August, am Tag, an dem für B. das Urteil verkündet wurde, wagte ein 5-Sterne-Mann einen selbständigen Gedanken. Es war ja nicht auszuschließen, dass nun die regierende Koalition platzen könnte, Staatspräsident Napolitano aber, wie er schon verschiedentlich durchblicken ließ, nicht sofortige Neuwahlen ausschreiben würde. Riccardo Nuti, zurzeit Fraktionsvorsitzender des M5S in der Abgeordnetenkammer, überlegte sich, wie es dann weiter gehen sollte. Das Ergebnis war eine Rundmail an seine Abgeordneten:

Riccardo Nuti und sein Meister

Riccardo Nuti und sein Meister

„Was sollte jetzt die PD tun? Schluss machen mit der Regierung, mit uns ein neues Wahlgesetz machen und wählen gehen. Wenn Napolitano nicht sofort das Parlament auflösen will, wären nach dem Scheitern wir dran. Eine 5-Punkte-Regierung: neues Wahlgesetz, bedingungsloses Grundeinkommen, Maßnahmen für die Klein- und Mittelunternehmen, Abschaffung der öffentlichen Parteienfinanzierung, Gesetz zum Interessenkonflikt“.

Die notwendige Finanzierung lasse sich durch den von der M5S geforderten Verzicht auf das Kampfflugzeug F 35, auf den Hochgeschwindigkeitszug nach Frankreich und auf die 2015 geplante Mailänder Expo aufbringen.

Eine Mail, scheinbar auf Linie

Für 5-Sterne-Bewegte genau das Programm, wofür sie in den Wahlkampf gezogen waren. Auch die Finanzierungsvorschläge, d. h. der Verzicht auf die F 35, die Expo 2015 und den Hochgeschwindigkeitszug nach Frankreich entstammen ihrem Forderungsarsenal. Trotzdem hat Nuti in dieser Mail einen unverzeihlichen Fehler gemacht. Genauer sogar zwei:

  1. Nuti leitet die Überlegung mit der Frage ein, was die PD jetzt tun solle. Auch wenn seine Antwort nichts anderes als das Programm der 5-Sterne-Bewegung ist, suggeriert es die Möglichkeit, dass sich PD und M5S auf ein gemeinsames Programm für eine gemeinsame Regierung einigen könnten, wenn auch nur für begrenzte Zeit. Nicht ganz zu Unrecht, denn zwischen dem 5-Punkte-Programm, das Nuti zitiert, und dem, was die PD anstrebt, gibt es ein paar nicht unwichtige Überschneidungen.
  2. Nuti nennt die PD bei ihrem Namen, PD. Das widerspricht der von Grillo verordneten Sprachregelung: Die PD darf nur „pdmenoelle“, auf Deutsch „PD-ohne-L“ genannt werden, denn das ist verächtlich und macht von vornherein klar, dass die PD und Berlusconis PdL das Gleiche sind („der PD fehlt an der PdL nur das L“).

Todsünde Bündnisangebot

Da nicht sein kann, was nicht sein darf, stellte Grillo in seinem Blog am 5. August klar und beantwortete damit auch die Mail seines Fraktionsvorsitzenden Nuti:

„PdL und PDohneL sind das Gleiche. Für mich ist es unmöglich, mich mit dem einen oder mit dem anderen zu verbünden oder ihnen das Vertrauen auszusprechen (wäre bei einer gemeinsamen Regierungsbildung nötig, H. H.). Für den ökonomischen, sozialen und moralischen Niedergang unseres Landes tragen sie identische Verantwortung… Hört bitte auf damit. Niemals mit der PdL, niemals mit der PDohneL“.

Inhalte zählen nicht, Italiens Probleme zählen nicht. Und auch die von Grillo versprochene „direkte Demokratie“ zählt nicht. Die letzte Entscheidung trifft das große „Ich“ von Grillo, hinter dem nur noch Casaleggio steht. Und dieses Ich dekretiert: kein Unterschied zwischen PD und PdL, die PD kann nur zerschlagen werden. Also kein Bündnis, ganz gleich wofür. Nicht einmal für ein neues Wahlgesetz, nicht einmal für unsere eigenen 5 Punkte. Diskussion beendet. Die 5-Sterne-Bewegung bleibt unter sich.

Es gehört zur Weltsicht Grillos wie Casaleggios (und übrigens auch Berlusconis), dass es jenseits des eigenen Lagers nur das identisch Böse gibt. Wehe, wer da Unterschiede sieht, er gehört zur anderen Seite. Um dem Nachdruck zu verleihen, nahm Grillo schon ein paar exemplarische Exkommunikationen vor. Was die Aktivisten der 5-Sterne-Bewegung bei der Stange hält, ist auch die Angst. Meist funktioniert es. Der arme Nuti hat seine Mail längst widerrufen und in sein Facebook-Profil geschrieben: „Die PD ist die PdL, niemals mit der PD“. So ist es brav. Nuti wird sich hüten, wieder einen eigenen Gedanken zu äußern.