Grillo und die Krise der Parteiendemokratie

Beppe Grillo ist 65 Jahre alt geworden, am 21. Juli. Auf die Probleme, die sich Italien mit seiner 5-Sterne-Bewegung einbrockt, haben wir schon häufiger hingewiesen. Aber wie man seine Motive auch immer beurteilt: Seine Bewegung ist auch eine Antwort auf die Krise der Parteiendemokratie, die ganz Europa erfasst, aber sich in Italien besonders ausprägt.

Beppe Grillo und sein Symbol

Beppe Grillo und sein Symbol

Verselbständigung „nach oben“, Wiederaneignung „von unten“

Es scheint fast ein Naturgesetz: Der Bürger wird nicht dümmer, aber die politischen Prozesse entziehen sich zunehmend seinem Zugriff. Europa verlagert wichtige Entscheidungen zu Instanzen, die nur noch indirekt demokratischer Kontrolle unterliegen. Die Finanzkrise tut ein Übriges: Gerade den Entscheidungen, die für Südeuropa am schmerzhaftesten sind, gibt sie das Siegel „alternativlos“.

So werden sich die Parteien in ihrem Handeln immer ähnlicher – spätestens wenn sie an der Regierung zu Exekutoren solcher „Alternativlosigkeiten“ werden, und unabhängig davon, ob sie „rechts“ oder „links“ sind. Mit bitterer Konsequenz für linke Parteien: Sie beanspruchen, eine gerechtere Gesellschaft anzustreben, aber viele ihrer früheren Wähler sehen darin nur noch verlogene Rhetorik.

Dass sich die PD erst unter Monti und jetzt unter Letta auf eine Koalition mit B. einließ, scheint dies zu bestätigen. Die gewachsene Distanz zwischen PD und Basis hat auch organisatorische Gründe: Das feinmaschige Netz von „Sektionen“, das noch die Urmutter KPI mit ihrer Basis verband, existiert nicht mehr. Zwar schuf sich die PD in den „Primarie“ (Vorwahlen) ein Instrument, um gelegentlich die Parteibasis einzubeziehen. Aber es blieb halbherzig. Als Berlusconi kürzlich die Straße gegen seine Prozesse mobilisierte, überließ die PD ihm das Feld. Für junge Leute, die sich ohne den Gedanken an eine Partei-Karriere in ein Projekt für das Gemeinwohl einbringen wollen, ist die PD kaum noch attraktiv.

Grillos Antwort zielt von Anfang an auf den unbefriedigten Partizipationswunsch. Seine Bewegung entstand „unten“, als lockerer Verbund meist junger Leute, die sich einfach nur austauschen und später, als die Bewegung „politischer“ wurde, für ein oder zwei lokale Projekte engagieren wollten. Für ihre Aktivierung erwies sich dies als der effektivere Weg: Jeder redet von Anfang an mit, viel Autonomie, keine längere Lehrzeit mit vorgängigem „Koffertragen“, gering formalisierte Mitgliedschaft. Dilettantismus ist keine Schande, das Netz als direktes – und billiges – Verständigungsmittel.

Privatisierung oder kollektive Wiederaneignung

Was sich ebenfalls rächt, ist der Flirt vieler europäischer Sozialdemokratien mit dem Neoliberalismus. Die Probleme des Sozialstaats sind, so die Lehrmeinung, v. a. mit dem Passepartout „Privatisierung“ zu bewältigen, was unter anderem hieß, die staatliche Regulierung kommunaler Dienste zurückzufahren. Es kam zu zivilgesellschaftlichen Gegenbewegungen, z. B. die Kampagne gegen die Privatisierung des Wassers. Ihre Aktivisten haben nicht vergessen, dass sie das Referendum auch gegen den Widerstand der PD durchsetzen mussten, die erst im letzten Moment auf den fahrenden Zug sprang.

Grillos Antwort setzt genau an den umweltpolitischen Leerstellen an, die lokal entstehen, wenn an die Stelle der Gemeinwohlorientierung die Vermarktlichung tritt. Wasser, Abfall, Energie, Transport, soziale Dienste sind die „fünf Sterne“ seiner Bewegung. Mit Projekten, die sich flexibel den lokalen Bedingungen anpassen. Die Entfernung der Politik von den Bürgern ist kein Schicksal. Die Kompetenz, um eine Müllverbrennungsanlage zu verhindern, lässt sich auch unten ansammeln.

De- oder Remoralisierung

Das spektakulärste Krisensymptom der Parteiendemokratie ist die Korruption. Sei es, dass politische Funktionsträger nur noch gegen „Tangenti“ tätig werden, oder dass sie sich bei ihren Vergütungen schamlos aus Steuergeldern bedienen. Berühmt wurde der „Politiker“ Fiorito (PdL), der sich als Vorsitzender eines Ausschusses im Regionalparlament von Latium Einkünfte genehmigte, die über denen des US-Präsidenten lagen. Es gab zwar Unterschiede im Ausmaß der Selbstbereichung, je nach Person oder Partei, aber im allgemeinen Klima des Laisser-faire brachen allzu viele Dämme. Mit zerstörerischer Öffentlichkeitswirkung gerade dann, wenn die Politik gleichzeitig eine Austeritätspolitik absegnet, die Millionen von Menschen – Jugendliche, Arbeitslose, Rentner – unter die Armutsgrenze drückt. Der verbreitete (manchmal übertriebene) Ekel gegenüber der „Kaste“ hat hier seine Wurzel.

Grillo rückte die Korruption der politischen Kaste ins Zentrum seiner Kampagne gegen die Parteien. Den Sprung der 5-Sterne-Bewegung in die regionalen und nationalen Parlamente verband er mit der Verpflichtung seiner Abgeordneten, auf einen großen Teil ihrer Bezüge zu verzichten. Womit er auch die anderen Parteien unter Druck setzt, diesem Beispiel zu folgen. Zumindest in diesem Punkt fällt es schwer, Grillo nicht Recht zu geben: In Sachen Korruption braucht Italien eine Kulturrevolution, sie muss in der Politik beginnen.

Fazit

Die 5-Sterne-Bewegung ist eine interessante und teilweise auch erfolgreiche Antwort auf die Krise der Parteiendemokratie, die in Italien weit fortgeschritten ist. Was nicht heißt, dass sie auch deren endgültige Lösung ist, wie es Grillo und sein Guru Casaleggio verkünden. Dafür steckt zuviel Esoterik in ihren Köpfen (das Netz, das bald alle intermediären Organisationen überflüssig machen wird). Dafür sind auch seit dem Sprung in die überlokale Politik die Widersprüche der Bewegung zu groß geworden, z.B. zwischen Veränderungswillen und sektiererischer Selbstabschottung (was das Land an B. auslieferte), zwischen Basisdemokratie und Autokratie. Einige Anhänger Grillos verteidigen vor allem letzteres als notwendig, als eine Art vorübergehende Erziehungsdiktatur. Aber Erziehungsdiktaturen funktionierten bisher nur selten, auch wenn sie in bester Absicht errichtet wurden.

PS: Eine wichtige Vorlektüre für diesen Beitrag war das Buch „Il partito di Grillo“, hrsg. von den Sozialwissenschaftlern Piergiorgio Corbetta und Elisabetta Gualmini, Il Mulino, Bologna 2013, das auf empirischen Untersuchungen beruht. Leider liegt es nur auf Italienisch vor.

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