Bersanis Partner Vendola

Vor ein paar Wochen besagten die Umfragen, dass die PD und die mit ihr verbündete SEL bei der bevorstehenden Wahl gemeinsam knapp 40 % der Stimmen kommen könnten. Das sind unsichere Prognosen, vor allem wegen zweier Unbekannter: erstens weil B., medial omnipräsent, ganz auf die populistische Karte setzt, zweitens wegen der Anziehungskraft, die das „Projekt Monti“ bis zum Wahltermin (auch bei einem Teil der Wählerschaft von Mittelinks) entwickeln kann.

Laut Barbara Spinelli (Repubblica) personifiziert Vendola die soziale Frage

Laut Barbara Spinelli (Repubblica) personifiziert Vendola die soziale Frage

Je unsicherer der Wahlausgang wird, desto mehr Aufmerksamkeit richtet sich auf Vendolas SEL, den kleineren Partner der PD. Für die italienische Rechte ist Vendola der Dämon, der Bersani auf Linkskurs drängt. Auch das Zentrum möchte ihn am liebsten in keiner Koalition haben. Monti bescheinigte ihm auf der letzten Pressekonferenz „Ideen, in der Vergangenheit nobel, heute schädlich“. Bersani kann das nicht völlig gleichgültig sein. Denn selbst wenn er die Wahl gewinnt, wird er das Zentrum um Monti in eine Regierungskoalition einbeziehen müssen – das geltende Wahlgesetz sorgt im Parlament für klare Verhältnisse, nicht aber im Senat.

Der Politiker Vendola

Wer über die SEL redet, redet über Vendola. Und über seine Anhänger. Wie Bersani entstammt Vendola der Kommunistischen Partei Italiens (KPI), widersetzte sich jedoch – anders als Bersani – als junger Mann ihrer Sozialdemokratisierung. Aber auch den Nostalgikern und Orthodoxen, welche eine Kommunistische Partei wiedergründen wollten, zeigte er seinen eigenen Kopf, als er 2009 die SEL („Sinistra, Ecologia e Libertà“) gründete. 2005 wurde er – auch gegen das PD-Establishment – zum Regionalpräsidenten von Apulien gewählt, der er bis heute ist. Unter seiner Führung wurde die Region zum Vorreiter für erneuerbare Energien und hatte aufgrund antizyklischer Investitionspolitik die höchsten Beschäftigungszuwächse Italiens. Allerdings sollen unter seiner Ägide auch die Kosten für das Gesundheitswesen überdurchschnittlich angestiegen sein.

Auf sozialpolitischem Gebiet zeigt Vendola eine Sensibilität, die ihn für seine Gegner zum „Kommunisten“ macht. Während die PD die Regierung Monti unterstützte, ging die SEL in Opposition – was ihr allerdings leicht fiel, weil sie im Parlament keine Abgeordneten hatte (sie scheiterte bei der letzten Wahl an der 4 %-Sperrklausel). Dass Vendolas Rigorismus ihn manchmal auch in eine Sackgasse führt, zeigt seine Haltung im Konflikt um Art. 18 des Beschäftigtenstatuts, der den italienischen Arbeitnehmern einen (im europäischen Vergleich) besonders starken Kündigungsschutz garantierte. Als ihn die Regierung Monti auf europäisches Mittelmaß zurückstutzen wollte, setzte sich unter anderem auch Vendola erbittert zur Wehr. Das Hauptproblem Italiens liegt jedoch nicht hier, sondern in der Spaltung des Arbeitsmarkts in gesicherte und prekäre Arbeitsverhältnisse, die gleichzeitig zur Scheidelinie zwischen den Generationen wurde. Sich in dieser Situation vorrangig auf die Verteidigung des Art. 18 zu versteifen, führt sozialpolitisch nicht weiter.

Die Person

Nach Typen wie Vendola sucht man in der deutschen Politik vergeblich. Er, der gläubige Katholik, der sich als „verspielt, anarchisch, infantil und narzisstisch“ charakterisiert, outete sich schon als 20-Jähriger (1978), als es in den Salons noch keineswegs schick war, als Schwuler. Sein Einsatz für das Gesundheitswesen kostete ihm politisch fast den Hals, als gegen ihn im April 2012 ein Verfahren wegen Amtmissbrauchs eingeleitet wurde (Vorwurf: er habe erzwungen, dass die Ausschreibung für den Chefarzt-Posten an einem Krankenhaus von Bari neu eröffnet wurde. Der Staatsanwalt fordert 20 Monate Gefängnis). Als der Prozess Ende Oktober mit Freispruch endete, reagierte er mit Tränen – nachdem er angekündigt hatte, sich im Falle einer Verurteilung aus dem politischen Leben zurückzuziehen. In einem Land, dem Berlusconi seinen Stempel aufprägte, ist das eher unüblich.

Vendola hat Charisma. Ihre Kehrseite ist die allzu große Abhängigkeit seiner Partei von seiner Person. Als wegen des Verfahrens sein Rückzug aus der Politik möglich schien, stand die SEL am Abgrund. Sie hätte den Rückzug nicht überlebt.

Die Anhängerschaft

Unter Vendolas Anhängern gibt es viele junge Idealisten, die in den vergangenen Jahren zu Vorkämpfern zivilgesellschaftlicher Partizipation wurden. Sie sammelten Millionen von Unterschriften für die Volksbegehren gegen die Kernenergie und die Privatisierung des Wassers, sie knüpften in Mailand und Neapel die Netzwerke für die Wahl oppositioneller Bürgermeister. Aber ihr Idealismus hat die Kehrseite, nicht besonders kompromissfähig zu sein. Als bei den Mittelinks-Vorwahlen Vendola mit einer halben Million Stimmen „nur“ an dritter Stelle landete, enthielten sich bei der folgenden Stichwahl viele seiner Anhänger – als ob es zwischen den Erstplazierten (Bersani, Renzi) keine Unterschiede mehr gab. Auf außenpolitischem Gebiet neigen SEL-Anhänger zum Pazifismus, während die PD (und erst recht das Zentrum) Nato-Einsätze nicht in Frage stellt. Auch das eine mögliche Bruchstelle.

Trotz dieser Risiken scheint es mir richtig, wenn Bersani am Bündnis mit der SEL festhält. Auch als Gegengewicht zu Montis „Agenda“, die zwar einen kurzen Abschnitt über die soziale „Exklusion“ enthält und der Linken ein paar Zugeständnisse macht (Mindestlohn), aber ansonsten auf die heilenden Kräfte des Marktes setzt. Nicht nur Italien, auch Europa wird eine gute Dosis von Vendolas sozialpolitischem Engagement brauchen. Als Antwort auf den anfangs zitierten Kommentar von Monti zu Vendola schrieb Barbara Spinelli in der „Repubblica“: „Vendola personifiziert die soziale Frage, die … in den Westen zurückgekehrt ist. Monti scheint zu verkennen, dass nicht Vendola schädlich ist, sondern das Übel, das er anprangert, welches in Griechenland, Italien, Spanien leider keine Idee, sondern gelebte Wirklichkeit ist … Vendolas Stimme brauchen wir unbedingt“.

Wer mehr über Nichi Vendola erfahren will, dem empfehlen wir sein 2011 auf Deutsch erschienenes Buch „Es gibt ein besseres Italien – Manifest für eine neue Politik“ im Verlag Antje Kunstmann

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