„Lieber Indro, Du hattest Recht,…

Indro Montanelli wurde zu einem von B.s schärfsten Kritiker

Die Anzeichen für B.s politisches Ende mehren sich. Am 19. 10. schrieb der Journalist Curzio Maltese in der „Repubblica“ einen offenen Brief an den großen Journalisten Indro Montanelli, der sich als Fürsprecher einer „idealen Rechten“ verstand und einst B.s „Giornale“ leitete, aber schon 1993 mit B. brach zu einem von B.s schärfsten und klarsichtigsten Kritiker wurde. Montanelli starb 2001.

Zum Verständnis des Folgenden: Mit dem Hinweis auf die „Bicamerale“ erinnert Maltese an die wohl größte Torheit, welche sich die Linke gegenüber B. leistete: Nach dem Mittelinks-Wahlsieg von 1996 bot D’Alema dem geschwächten und in die Opposition geratenen B. einen Pakt an, in Gestalt einer gemeinsamen Kommission beider Kammern für eine große Verfassungsreform, der sog. „Bicamerale“. Die Verfassungsreform kam nie zustande, aber B. konnte den Pakt nutzen, um seine Doppelexistenz als Politiker und Medien-Mogul zu retten.

…Berlusconi ist am Ende, aber Italien hat sich nicht verändert“

„Es ist jetzt elf Jahr her, dass ich Montanelli für ein letztes Interview aufsuchte, in dem er sagte, dass man Berlusconi regieren lassen müsse, um sich von ihm zu befreien. Montanelli war verbitterter denn je. „Er wird schlecht enden, sehr schlecht, in Schande und Korruption. Und dann wird es sinnlos sein, Recht gehabt zu haben. Eines Tages wirst Du für Deine Zeitung einen Artikel über B.s Ende schreiben müssen. Und dann wirst Du keine Lust mehr dazu haben“.

Alles hat sich bewahrheitet. Als jetzt B. verlauten ließ, dass er nicht mehr kandidieren werde, war es eine Nachricht, die erst an fünfter oder sechster Stelle kam. Es waren die Skandale in den Regionen, welche die Titelseiten beherrschten. Ein Erdbeben mit ihrem Epizentrum in Mailand, das Montanelli einst die „moralische Hauptstadt Italiens“ genannt hatte.

Inzwischen empören sich in Mailand sogar die Bosse der ‚Ndrangheta über das tiefe moralische Niveau ihrer politischen Handlanger – und nennen sie Banditen, Menschen ohne Würde, Stück Scheiße (abgehörte Telefonate, A. d. R.). Der große Korrumpierer hat keinen triumphalen Abgang (…), sondern macht sich aus dem Staub, während das politische System in Stücke zerfällt, das er um sich herum geschaffen hat.

Es ist sinnlos, Recht gehabt zu haben, und man mag es auch nicht mehr niederschreiben. Interessanter wären schon Zitate dessen, was die Hofsänger des Berlusconismus in diesen zwei Jahrzehnten zu Papier brachten. Die Lobhudelei des Gaunertums, die Ironie gegenüber dem Moralismus von B.s Gegnern, die Apologie der großen liberalen Erneuerung, die militante Verteidigung einer Partei, „die nicht aus Plastik ist“, der falsche Mythos der Modernität des Cavaliere.

Jetzt liegt die Rechnung für den ganzen Karneval auf dem Tisch. B. hat das gesamte politische System korrumpiert. Seine Rolle war es, in die Institutionen eine ignorante Bande von Gaunern einzuschleusen, unter der schützenden Fahne eines alles rechtfertigenden Antikommunismus (…).

Aber er korrumpierte auch seine Widersacher und den Gemeinsinn. Die Linke führte jahrelang ein Mann wie D’Alema, der seit den Zeiten der „Bicamerale“ auf die Machtteilung mit Berlusconi setzte. Dies ist der kulturelle Boden, aus dem Fälle wie Penati1) entstanden.

Paradoxerweise hat B. auch das militanteste Lager des Antiberlusconismus korrumpiert. Jahrelang berichteten wir über den merkwürdigen Hofstaat um Di Pietro2), aber seine Anhänger wollten nichts hören und nichts sehen. Wie am Ende des Faschismus fehlt im öffentlichen Bewusstsein eine ernsthafte Reflexion der jüngsten Vergangenheit. Wir beginnen schon wieder an neue Märchen zu glauben. Grillo hat Erfolg, weil er faktisch dem Berlusconismus die Generalabsolution erteilt und stattdessen auf den Euro, Europa und die plutokratisch-jüdische Finanzwelt zeigt, was in Italien schon immer in Mode war. Es hat nichts genützt, lieber Indro.“

1) A.d.R.: ein wegen Korruption angeklagter lombardischer PD-Politiker

2) A.d.R.: Spielt darauf an, dass Di Pietro einer der schärfsten Kritiker von B. ist, aber sich viele der unter seiner Flagge gewählten Abgeordneten inzwischen als korrupt erwiesen oder von B. kaufen ließen, als dessen angeschlagene Mehrheit in Gefahr war.