In die Kurve auf dem Schleudersitz

Bekanntlich ist die Demokratie nicht die beste, sondern nur am wenigsten schlechte aller Regierungsformen, weshalb man sie vor ihrer Selbstzerstörung schützen muss. Siehe das Regime von B.: Es unterhöhlte die Demokratie, zerstörte Recht und Gewaltenteilung. Und es war zugleich ein Erzeugnis der Demokratie, B. kam durch Stimmzettel an die Macht.

Auch der Wahlkampf ist eine demokratische Institution, und hier ist B. Meister. Er hat die Fähigkeit, mit absoluter Gewissenlosigkeit auf der Klaviatur zweier Grundinstinkte zu spielen: Hoffnung und Angst. Seine Fähigkeit, als Hoffnungsträger einer anderen, nur erträumten Wirklichkeit zu erscheinen, hat zwar in den letzten Jahren gelitten. Umso virtuoser wurde sein Spiel mit der Angst. Wir waren dabei, als er vor anderthalb Jahren auf der römischen Piazza S. Giovanni fragte: „Wollt ihr, dass wieder eine Linke die Regierung übernimmt, die die Steuern erhöht?“ Bei ihrem „Nooooo“ schrieen sich Hunderttausende die Seele aus dem Leib.

Hier liegt einer der Gründe, warum er, der geniale Wahlkämpfer, bei seinem Rücktritt die Forderung nach sofortigen Neuwahlen aufgab. Zum einen, weil er sich angesichts der fallenden Börsenkurse seiner Unternehmen dem Argument beugte, ein mehrmonatiger Wahlkampf werde jetzt auch seine eigenen Geschäfte ruinieren. Zum anderen weil ihm sonst ein Teil seiner Gefolgschaft, vor allem im Parlament, von der Fahne gegangen wäre. Und schließlich, weil er spürt, dass jetzt nicht der Moment für einen Wahlkampf der Angst ist. Denn die letzten Monate haben die Mehrheit der Italiener davon überzeugt, dass Opfer unausweichlich sind. So dass es nur darum geht, ob sie einigermaßen gerecht verteilt werden und wie gleichzeitig die wirtschaftliche Wiedergesundung zu ermöglichen ist. Das ist nicht Berlusconis Ding, und deshalb wartet er als Wahlkämpfer auf bessere Zeiten.

Die Regierung Monti ist ein notwendiges, aber riskantes Experiment, auch für die italienische Demokratie. Getragen wird sie von der mehrheitlichen Einsicht des Volks, dass ein politischer Neuanfang nötig ist. Und von einem Staatspräsidenten, der trotz seiner 86 Jahre ein Glücksfall ist, weil er diese Einsicht institutionell umsetzt. Monti verfügt über Ansehen, auch im Ausland. Und dass seine Regierungsmannschaft aus „Experten“ mit nur begrenzter Bekanntheit besteht, mag zunächst ein Vorteil sein. Aber der Vertrauensvorschuss, der diese Regierung begleitet, ist noch ein geliehener. Man will einen Neuanfang, man vertraut Napolitano, und deshalb (!) vertraut man auch der von ihm eingesetzten Regierung.

Der Verzicht auf sofortige Neuwahlen hat seinen Preis. Denn Italien wird so (vielleicht) anderthalb Jahre in einem institutionellen Widerspruch verharren: Die neue Regierung hat es in beiden Kammern noch mit den alten Mehrheiten zu tun, die trotz ihres beginnenden Zerfalls nur auf den Moment warten, um Monti, wie B. schon droht, „den Stecker aus der Dose zu ziehen“. Und die – mit B. – um jeden Preis verhindern wollen, dass Montis Regierung zum Ausgangspunkt der umfassenden (auch moralischen) Erneuerung wird, die das Land jetzt eigentlich bitter nötig hätte. Diese Regierung wird fragil bleiben. Was sie in beiden Kammern trägt, ist weniger das von Napolitano beschworene „breite Einverständnis“ aller Parteien, sondern eine Art „Gleichgewicht des Schreckens“. Die Logik ähnelt der des Kalten Krieges: Die beteiligten Lager sind sich spinnefeind, und jedes verfügt über die Mittel, um allem sofort ein Ende zu machen. Aber vielleicht setzt sie – vorerst! – niemand ein, weil die Folgen einen auch selbst treffen würden.

Ob das eine Konstellation ist, mit der sich verlorenes Vertrauen bei der EU, dem IWF und den Finanzmärkten wiedergewinnen lässt, muss sich noch zeigen. Denn zu dieser Konstellation gehören weiterhin B. und seine Leute. Eine Truppe von Desperados, bei der bezweifelt werden kann, ob sie die nötige politische Rationalität aufbringt, um die Monti-Regierung arbeiten zu lassen, bis sie ihre Aufgabe erfüllt hat.

Nein, B. ist noch lange nicht weg vom Fenster. Man darf nie vergessen: Er kämpft ums ökonomische Überleben seiner Unternehmen und gegen den Ort, der jetzt eigentlich sein natürliches Zuhause wäre: das Gefängnis. Er wird alles tun, um im Spiel zu bleiben. Im Interesse Italiens muss die Monti-Regierung die Kurve kriegen. Aber sie befindet sich dabei auf dem Schleudersitz.