Orbans und Berlusconis gemeinsame Rückendeckung

Alarmierende Nachrichten aus Ungarn. Das Land gehört zur EU, von der man eigentlich denken sollte, dass es nicht nur der Euro ist, der sie (schlecht und recht) zusammen hält, sondern auch die demokratische Verfasstheit ihrer Mitgliedsländer. Diese bescherte Viktor Orbans Fidesz-Partei im April 2010 eine parlamentarische Zweidrittel-Mehrheit, was an sich kein Unglück ist – wenn die politische Führung die Weisheit besäße, die ihr damit zugefallene Macht in Maßen zu nutzen. In den Maßen der Demokratie.

In Ungarn geschah das Gegenteil. Es begann damit, dass die neue Mehrheit eine Institution mit dem harmlosen Namen „Mediendienstleistungs- und Vermögensfonds“ (MTVA) ins Leben rief, die Orban sofort mit seinen Gefolgsleuten besetzte und die sich seitdem zum Orwellschen Großen Bruder der ungarischen Medien entwickelt. Als erstes richtete der Fonds eine zentrale Nachrichtenredaktion ein, die alle Programme und Produktionen in Auftrag gibt und dann entscheidet, welche „Nachrichten“ sie an die öffentlichen Medien verteilt. Daniel Papp, Mitgründer und politische Sprecher der rechtsradikalen Jobbik-Partei (welche ihre schwarz gekleideten Schlägertrupps, die Jagd auf Roma und Homosexuelle machen, „ungarische Garde“ nennt), wurde Chef der Nachrichtenredaktion. Als Schwule und Lesben bei der letzten Gay Pride Parade am 11. Mai durch Budapest demonstrierten, schlugen die Schwarzhemden – mehr oder minder unter Polizeischutz – wieder einmal blutig zu.

Orbans Zugriff auf die veröffentlichte Meinung ist fast total. Den wenigen kritischen Privatsendern wurden die öffentlichen Werbeaufträge entzogen, jetzt bangen sie um ihre Lizenzen. Im öffentlichen ungarischen Fernsehen und Rundfunk hat Orban 35mal mehr Raum als die Opposition.

Dem MTVA sind auch die Journalisten unterstellt, die in öffentlichen Medien arbeiten. Im Sommer kam es zur ersten Säuberung. Gruppenweise wurden die Journalisten zu Spezialkommissionen bestellt, die ihnen entweder die Erlaubnis zur Weiterarbeit oder die Entlassungspapiere überreichten – letzteres mit Maulkorb, denn nachträgliche Beschwerden über den bisherigen Arbeitgeber kostet die Abfindung. Journalisten, die als „kritisch“ bekannt sind, wurden ausgesondert. Bisher waren es etwas 500, weitere 400 werden noch vor Jahresende folgen.

Die alles rechtfertigende Ideologie ist die „nationale Einheit“. In ihrem Namen legte Orban das Verfassungsgericht an die Leine, erleichterte er Entlassungen und besetzte er den obersten Rechnungshof, die Gerichte, Universitäten und sogar Theater und Oper mit Parteigängern. Auch an die Arbeitslosen wurde gedacht. In einigen Orten der Provinz müssen sie sich jeden Morgen um 7 mit Hacke und Harke im gelben Einheitshemd zu „sozial nützlicher Arbeit“ versammeln. Ein noch nicht verabschiedeter Gesetzesentwurf plant „Unterbringungslager“ für nicht sesshafte Arbeitslose und sonstige „asoziale Elemente“.

Warum dieser Exkurs in einem Blog über Italien? Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste ist der sich aufdrängende Vergleich Orbans mit Berlusconi. Im Interview mit der „Repubblica“ (17. 8. 2011) definiert die ungarische Philosophin Agnes Heller Orbans Herrschaft als antiliberales „bonapartisches Regime“, als „Konzentration der Macht in einer Hand, ohne Kontrollen und Checks und Balances“. Obwohl sie sich zu Recht gegen die schlichte Gleichsetzung Orban – Berlusconi wehrt, ist doch festzustellen: Auch B. führt einen verbissenen Kampf gegen die demokratischen Checks und Balances. Gegen die Meinungsfreiheit (wenn sie kritisch ist), gegen die Justiz (wenn sie ihn anklagt), gegen den Staatspräsidenten (wenn er nicht nach seiner Pfeife tanzt). Seine Partei, den „Popolo della Libertà“, setzt B. nicht von Ungefähr mit dem „Volk“ gleich. Der Unterschied ist, dass B. noch anstrebt, was Orban schon erreicht hat. Und dass B. dabei noch auf Widerstand stößt, denn die demokratische Tradition Italiens ist noch nicht tot.

Es gibt einen weiteren Grund, um auf das ungarische Beispiel zu verweisen. Wie B.s „Popolo della Libertà“ gehört auch Orbans Fidesz-Partei zur EVP. Einst hoffte ich, die CDU/CSU, die ja auch zur Fraktionsgemeinschaft der EVP gehört, würde irgendwann den Populisten Berlusconi in die Schranken weisen. Denn in Italien brüstet sich B. mit seiner EVP-Zugehörigkeit. Es war ein naiver Irrtum. Als Orban vor einigen Monaten im Europarlament seine Medienpolitik verteidigte, soll der Beifall der gesamten EVP-Fraktion, also auch ihres deutschen Teils, „frenetisch“ gewesen sein. Gegenüber den Nachfolgern Napoleons in Europa gibt es bei der EVP weder eine politische Grenze noch eine Schamgrenze. Die CDU/CSU hat eben zwei Gesichter. Auch B. muss sich da keine Sorgen machen.