L’ Italia s’ è desta

„L’ Italia s’ è desta” – „Italien ist aufgewacht“ ist eine Zeile aus der italienischen Nationalhymne. Es stand auf den Spruchbändern, welche die Römer gestern zur Siegesfeier für das Referendumergebnis mitbrachten.

B. und Bossi hatten alles versucht, um die Bürger von den Abstimmungslokalen fernzuhalten. Schon den Termin hatten sie deshalb genau auf den Beginn der Sommerferien gelegt. „Die Referenden sind überflüssig, fahrt ans Meer!“, rief B. den Italienern zu. Es half auch nichts, dass seine Fernsehkanäle das Thema bis zum Wahltag beschwiegen. Alles vergeblich. Die Italienerinnen und Italiener gingen massenhaft zur Wahl, das „Quorum“ von 50 % wurde deutlich überschritten: 57 % aller in Italien lebenden Wahlberechtigten (54,8 %, wenn man die über 3 Millionen Auslandsitaliener mitrechnet) gingen zur Abstimmung. Das Ergebnis ist plebiszitär: Zwischen 95 und 96% stimmten viermal mit „Ja“, was drei Neins bedeutet: zur Privatisierung des Wassers, zur Kernkraft, zu B.s „Legitimer Verhinderung“.

Zum ersten Mal nach 16 Jahren wurde bei solchen Referenden wieder das Quorum erreicht, in allen 20 Regionen Italiens. Gewählt haben fast 27 Millionen, davon ca. 10 aus dem rechten Regierungslager. In Piemont, der Lombardei und im Veneto, wo bisher die Lega dominiert, war die Beteiligung überdurchschnittlich hoch. Ungeachtet des Aufrufs zum Wahlboykott ihrer Chefs marschierten gar einige Minister, Regionspräsidenten und Bürgermeister von PdL und Lega zur Wahl. Manche von ihnen (vor allem von der Lega) erklärten ungeniert, in allen vier Fällen mit „Ja“ zu stimmen, auch gegen das Gesetz zu B.s Schutz vor Strafverfolgung.

Das Wiedererwachen der zivilen Gesellschaft quer zu den politischen Lagern, das sich bereits bei den Kommunalwahlen zeigte, hat sich bestätigt. Auch hier spielten Mund zu Mund-Propaganda, Internet und Facebook eine wichtigere Rolle als die traditionellen Medien. Auch hier war der Wunsch nach Partizipation und Mitverantwortung die treibende Kraft. Als die Ergebnisse bekannt wurden, war es fast wie eine Befreiung. Auf unserer nachmittäglichen Einkaufstour am Montag im Dorf war die Freude deutlich zu spüren: „Wir haben es geschafft! Endlich wachen die Italiener auf!“ rief uns die pensionierte Grundschullehrerin zu, mit der wir sonst nur ein höfliches „Buongiorno“ austauschen. Und Peppe, unser bulliger Lebensmittelhändler, packte übers ganze Gesicht strahlend meinen Mann am Arm: „Donnerwetter, da haben wir es B. gezeigt, was?“.

Die Reaktionen im Regierungslager sind heftig, besonders bei der Lega. Sie kennt den Unmut, den es in ihren Reihen über B. gibt, und weiß, dass auch viele ihrer Wähler zum Erfolg des Referendums beitrugen. Unverhohlen droht sie jetzt B. mit dem Platzen der Koalition, wenn ihren Forderungen – vor allem nach Steuerentlastungen und Wirtschaftshilfen für den Norden – nicht schnell entsprochen wird. Am 19. Juni findet das traditionelle Jahrestreffen der Lega in Pontida statt, dort soll B. die Rechnung präsentiert werden.

Auch die PdL weiß, dass B. eigentlich nicht mehr zu halten ist. Doch eine Alternative zu ihm, dem Alleinherrscher, ist nicht in Sicht. Die Erpressungsversuche und Absetzbewegungen werden zunehmen, vor allem bei den Abgeordneten, die aus der Opposition in das Regierungslager eingekauft wurden.

Auch auf der Seite der Opposition ist die Debatte, trotz der Freude über das Ergebnis, über das „Wie jetzt weiter?“ heftig entbrannt. Noch verfügt B. über eine – wenn auch politisch angeschlagene – Regierungsmehrheit. Noch hat die Opposition keine Klarheit über ihr Bündnis, über ein gemeinsames Regierungsprogramm und über einen überzeugenden Spitzenkandidaten. Und noch ist nicht ausgemacht, dass die Oppositionsparteien die wichtigste Lehre aus diesem italienischen Frühling wirklich verinnerlicht haben: dass nämlich die Bürgerinnen und Bürger, vor allem die Jugendlichen, mit ihren Ideen, ihren Erfahrungen und ihrem Partizipationswillen die Alternative direkt mitgestalten wollen. Und auch können.