Ferrara

Bei der Gleichschaltung des staatlichen Fernsehens hat B. einen weiteren Etappensieg erzielt. Zur besten Fernsehzeit, im Anschluss an die 8 Uhr-Nachrichten von RAI 1, bekommt Giuliano Ferrara täglich 5 Minuten für einen Kommentar eigener Wahl. Die Sendung heißt „Radio Londra“, Radio London. Die Requisiten: ein abgedunkelter Raum, das einleitende Bumm-bumm-bumm, das an die Nachrichten von Radio London im zweiten Weltkrieg erinnert, ein Drehpult. Und einzig beleuchtet Ferrara, der sich dem Publikum mit seinem Pult zudreht und zu reden beginnt, fünf Minuten lang. Es scheint wenig, aber ist viel.

Giuliano Ferrara ist einer der Intellektuellen, die sich B. mit Haut und Haaren verschrieben haben. Ein Mann mit linker Vergangenheit, was ihn mit anderen Intellektuellen verbindet, die heute B.s Wasserträger sind. Sein Vater war ein hoher KPI-Funktionär, und auch die Karriere des Sohnes begann in der KPI. Anfang der 80er Jahre kam seine „Wende“, er näherte sich Craxi und wurde Europa-Abgeordneter der PSI. 1989 trat er in die Dienste von B. und brachte in dessen „Kanal 5“ eine erste Version von „Radio Londra“. Als sich die PSI im Gefolge des Tangentopoli-Skandals (gegen dessen Aufdeckung Ferrara vergeblich anschrieb) auflöste, wechselte er zu Forza Italia und wurde in B.s erster Regierung Minister. 1996 gründete er „Il Foglio“, eine Tageszeitung mit „neokonservativer“ Tendenz. Nach dem 11. September 2001 wurde er zum Bellizisten, der sich im Irak-Krieg an die Seite der USA stellte, und zum bekennenden Anti-Laizisten, der eine persönliche Kampagne gegen die Abtreibung begann.

Jetzt hat er sich B., der wegen der Ruby-Affäre in Schwierigkeiten befindet, erneut angedient, und zwar mit dem Vorschlag eines Strategiewechsels: B. solle sich nicht mehr darauf einlassen, irgendetwas abzustreiten, sondern sich als „Sünder“ bekennen und gegen die ihn anklagenden „Puritaner“ in die Offensive gehen. Etwa in dem sich B., umgeben von 32 Mädchen, die an den „Festen“ in der Villa Arcore teilnahmen, dem Fernsehen bei einem kuscheligen Familientreffen präsentiert.

Nun auch seine täglichen 5-Minuten-Sendungen. Ein besseres Sprachrohr hätte B. nicht finden können. Eine von Ferraras Spezialitäten ist das Schüren von Angst. Einmal zitiert er nebenbei die (angebliche) Äußerung eines PD-Politikers, aufgrund der Aufstände in den arabischen Ländern sei mit „30 Millionen“ Flüchtlingen zu rechnen. Ein andermal zitiert er beiläufig den Ausspruch, der Konflikt in Libyen laufe darauf hinaus, dass „Sarkozy das Öl bekommt, und wir die Flüchtlinge“ (B. betrachtet Sarkozy als Rivalen im Kampf um die libysche Einflusssphäre).

Und dann die Prozesse gegen B. Natürlich behauptet auch Ferrara, dass die „politisierten“ Staatsanwälte und Richter mit ihnen B. aus dem Weg zu räumen wollen. Exemplarisch ist seine Hetze gegen Staatsanwalt De Pasquale: Ferrara zieht sich in seiner Show eine Plastiktüte über den Kopf, um zu demonstrieren, wie ein Untersuchungshäftling, gegen den De Pasquale in der Tangentopoli-Zeit ermittelte, Selbstmord beging. Und damit zu belegen, dass De Pasquale schon immer eine „pathologische“ Verfolgungswut entwickelt habe.

Ferraras ganze Chuzpe zeigt sich am „Fall Ruby“. In fünf Minuten erzählt er eine larmoyante Geschichte über das arme Mädchen, das nur sein Glück machen wollte, jetzt aber von den Menschen als „Hure“ und „Schlampe“ beschimpft werde. Schon Jesus habe die „Sünderin“ Maria Magdalena in Schutz genommen, usw. Er bitte ja nur um ein wenig Mitgefühl mit der armen Ruby. Ein Täuschungsmanöver, denn die Anklage richtet sich nicht gegen Ruby, sondern gegen einen reichen und mächtigen alten Mann, dem vorgeworfen wird, dass er sich minderjährige Mädchen kauft. Wozu allerdings keine Äußerung von Jesus überliefert ist.

Kein Zweifel: Giuliano Ferrara ist nicht dumm. Aber man stelle sich vor, bei uns hielte jeden Abend nach der Tagesschau ein Regierungspropagandist einen fünfminütigen Hetzmonolog. In der besten Sendezeit, ohne dass irgendjemand erwidern könnte. In B.s Regime ist es möglich. Übrigens hatte „Radio Londra“ auch bei uns schon einmal einen Vorläufer. Es war Karl-Eduard von Schnitzlers „Schwarzer Kanal“, der bis 1989 jeden Montagabend im DDR-Fernsehen lief. Er hatte den gleichen demagogischen Impetus. Mit einem Unterschied: Der „schwarze Kanal“ stand nur montagabends auf dem Programm. „Radio Londra“ täglich.