Nie wieder Mani pulite

Als B. am 10. März seine geplante Justizreform der Presse vorstellte, hatte er eine überraschende Begründung in petto. Hätte es diese Reform schon vor 20 Jahren gegeben, wäre es zu „keinem Übergriff der Justiz auf die Politik, zu keiner 92/93 ausgelöschten Regierungsklasse, keiner gescheiterten Exekutive 1994 gekommen“. Also kein aufgedeckter Tangentopoli-Skandal, keine Mani pulite.

Es zeigt, in welcher Tradition B. seine Justizreform sieht. Denn was die Richter und Staatsanwälte der „Mani pulite“ zu Beginn der 90er Jahre ans Tageslicht beförderten, war eine Korrumpierung, die nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die politische Klasse Italiens erfasst hatte. Der Staat vergab keinen Auftrag mehr, ohne dass ein bestimmter Prozentsatz des finanziellen Auftragsvolumens in die Kassen der beteiligten Parteien oder auch gleich direkt in die Taschen der Politiker floss. Obwohl verboten, war es allgemeine Praxis, und als sich eine Gruppe von Richtern und Staatsanwälten anmaßte, hier auf Einhaltung der Gesetze zu pochen, kam es dem Strafgericht von Sodom und Gomorrha gleich.

Natürlich war die damals aufgedeckte Korruption nicht erst die Erfindung der Politiker, die in Tangentopoli untergingen. Wie die Mafia war sie ein Krebsgeschwür, das schon früher begonnen hatte, die italienische Gesellschaft zu zerfressen. Aber auch schon früher gab es Staatsanwälte, die nicht nur den Kampf gegen die Mafia, sondern auch die Korruption aufnahmen, und Richter, die ihre Protagonisten verurteilten. In den 70er Jahren deckten sie auf, dass in der italienischen Erdölindustrie die Politiker-Bestechung zur Regel geworden war. Es war dies auch die Zeit, in der sich in Italien das Schwergewicht der wirtschaftlichen Tätigkeit immer mehr in Richtung auf das „dritte Italien“ verlagerte, d.h. auf eine Myriade von Klein- und Mittelbetrieben, deren Erfolg auf ihrer Flexibilität beruhte, aber auch auf der Fähigkeit, Schwarzarbeiter zu beschäftigen, Sozialkosten zu vermeiden und Steuern zu hinterziehen. Das systematische Umgehen von Steuern, angefangen mit der Mehrwertsteuer, das Ausstellen falscher Rechnungen und Bilanzfälschungen war bereits zu Beginn der 80er Jahre gesellschaftliche Normalität geworden. „Korruption von oben“ verquickte sich unentwirrbar mit „Korruption von unten“. Figuren wie B., die wohl nicht nur durch unternehmerisches Genie, sondern auch durch Korruption und Bestechung zu ihrem Milliarden-Vermögen kamen und die in die Politik gingen, um ihr Vermögen zu retten, konnten deshalb – und können es immer noch – auf verständnisvolle Komplizenschaft rechnen.

In den letzten 40 Jahren war es Italiens Problem, dass sich weder aus der Politik noch aus der Gesellschaft heraus genügend starke „Antikörper“ gegen diese Versumpfung entwickelten. Aber es gab immerhin noch eine halbwegs intakte Justiz, die sich ihr entgegenstemmte. Der Skandal um „Tangentopoli“ war dafür das spektakulärste Beispiel – und zeigte doch auch, dass die Justiz längerfristig auf verlorenem Posten steht, wenn diesen Kampf nicht der entsprechende politische Gestaltungswille begleitet. Der auch auf der Linken fehlte. Immerhin war ja Berlusconi in den vergangenen 17 Jahren nicht ständig an der Macht, sondern musste sie zeitweise Mittelinks-Koalitionen überlassen. Die es dann aber regelmäßig unterließen, gerade auch der von B. ausgehenden Korrumpierung der italienischen Gesellschaft – Stichworte: Interessenkonflikt, Medienmonopol – Grenzen zu setzen.

Jetzt muss die italienische Demokratie dafür vielleicht die Rechnung bezahlen. Denn immerhin blieb die Justiz für B.s Regime bis Rubygate ein Störfaktor. Seine geplante „Justizreform“ will sie ein für allemal an die Leine legen. Nichts macht dies klarer, als sein Spruch, dass es mit dieser Reform die „Mani pulite“ gar nicht erst gegeben hätte.