Befreiungsschlag?

Die Dinge entwickeln sich schneller als erwartet, Berlusconi verliert die Kontrolle. Nun fordert ihn Fini, den B. erst vor einigen Monaten aus seinem „Freiheitsvolk“ warf, zum Rücktritt auf. Um „das Regierungsprogramm zu überarbeiten sowie die Zusammensetzung der Regierung und der Koalition zu überprüfen“.

Es war eine Art Gründungskongress der von Fini neugegründeten Bewegung „Futuro e Libertà“ (FLI), der am vergangenen Sonntag stattfand und ihm Gelegenheit zur Abrechnung mit B. bot. Sein Auftritt war vorbereitet wie der eines Rockstars, schreibt die „Repubblica“. Denn die Regierungsmitglieder, die sich der FLI zurechnen, erklärten zuvor ihm und einigen tausend jubelnden Anhängern: „Gianfranco, wir legen unsere Posten in Deine Hand“.

Die bisherige Regierung, so Fini, sei „keine Regierung des Machens“ gewesen, wie sich B. brüstete, sondern nur „des So-tuns-als-ob alles zum Besten steht“. Gegen B.s Umgang mit der Justiz zielte: “Wesentliche Bedingung der Freiheit ist die Legalität“, gegen dessen verlogene Botschaft der Leichtigkeit des Seins: „Italien ist keine Spaßgesellschaft“, und gegen die manichäische Aufteilung der Welt in Gut und Böse, Liebe und Hass: „Wir werden uns der Linken nicht unterordnen, aber mit der Kommunistenangst muss Schluss sein. Die Welt ist komplexer geworden“. An die Adresse der Lega ging: „Zu unseren Grundwerten gehört der Respekt vor der menschlichen Person, unterschiedslos und ohne Diskriminierungen“, was bedeute, „nicht zwischen weiß und schwarz, zwischen Christen, Muslimen und Juden, zwischen Heterosexuellen und Homosexuellen, zwischen Bürgern Italiens und Fremden zu unterscheiden“. Hier sei die PdL „ins Schlepptau der Lega“ geraten und mittlerweile die „rückständigste Partei Europas“, bei der „die große liberale Revolution nie stattfand“. Für Fini und sein FLI sind B. und seine PdL „abgeschlossene Kapitel, wir sind weiter“. Der Dissens zu B.s Politik betrifft fast alle Gebiete: die Justiz, die Migrations- und Familienpolitik, die Sozial- und Wirtschaftspolitik (gegen Tremontis Haushaltssanierung durch Kürzungen nach der Rasenmähermethode, gegen Bossis Vernachlässigung des Südens).

War das der Befreiungsschlag? Die Situation eskaliert, aber Fini taktiert noch. Eine Feinheit seiner Rücktrittsforderung ist es, dass Fini nicht selbst die Regierungskrise auslösen will, sondern von B. fordert, er solle es tun. Fini kündigt zwar an, dass die Regierungsmitglieder der FLI – Minister, Vizeminister, Unterstaatssekretäre – „anderenfalls keine Minute länger“ auf ihren Posten bleiben würden. Warum zieht er sie dann nicht gleich zurück? Brutus will nicht der Mörder Caesars sein, Caesar soll sich selbst erledigen. Scheinbar gibt ihm Fini noch eine Chance. Einerseits müsse die neu gebildete Regierung das „schändliche Wahlgesetz“ außer Kraft setzen, wohl wissend, wie sehr B. gerade an diesem Gesetz hängt. Andererseits schließt Fini nicht aus, dass auch die neue Regierung wieder eine Koalition der Rechten ist, mit der PdL als stärkster Kraft, allerdings unter Einbeziehung der UDC. Fini schließt nicht einmal aus, dass sie wieder von B. geführt wird (als ob dieser sich dafür noch nicht genug disqualifiziert hätte).

Man kann das alles für Taktik halten. Und Fini hat sich zweimal schon fast zu Tode taktiert: Als er sich erst auf die Allianz mit B. einließ, und als er später mit ihm eine gemeinsame Partei bildete. Jedes Mal glaubte er, den Tiger reiten zu können.
Aber im Moment ist es B., der angeschlagen ist. Es ist nur eine Randglosse, die aber viel besagt: Am 8. November begann eine dreitägige nationale Konferenz über die Familie. Alles, was in Italien Rang und Namen hat, war bei der Eröffnung zugegen. Eigentlich sollte B. sie eröffnen, aber die Organisatoren – sicherlich nicht im Verdacht, „Linke“ zu sein – ließen verlauten, angesichts der Ereignisse der letzten Wochen sei ihnen ein Auftritt B.s „peinlich“ („imbarazzante“). So kam anstelle des Ministerpräsidenten ein Staatssekretär.