Ganovenehre

Es gibt Expriester, bei denen die Entdeckung einer anderen Berufung unerwartete Kräfte freisetzt. Zu ihnen gehört Berlusconis alter Kumpel Aldo Brancher. 1982 trat er in die Dienste von B.s Medienkonzern Fininvest, seine dortigen Aufgaben verstrickten ihn später in die Tangentopoli-Affaire: Ihm wurde nachgewiesen, dass er einem sozialistischen und einem liberalen Politiker jeweils 300 Mio. Lire zahlte, damit Fininvest lukrative Staatsaufträge erhielt. Nachdem er 1993 drei Monate in Untersuchungshaft saß, verurteilten ihn die Richter – in zwei Instanzen – wegen Bilanzfälschung und illegaler Parteienfinanzierung zu mehreren Jahren Gefängnis. Wenn man von der Untersuchungshaft absieht, musste er die Strafe nie antreten, denn als sein Fall beim Kassationsgericht ankam, hatte Berlusconi – inzwischen Regierungschef – dafür gesorgt, dass Bilanzfälschung nicht mehr strafbar und illegale Parteispenden verjährt waren. Im Gegenzug dazu vollbrachte Brancher die Heldentat, die ihm B.s ewige Freundschaft sicherte: Er verschwieg gegenüber den Ermittlungsbeamten seine Auftraggeber. Später erzählte B., während Branchers Untersuchungshaft das Gefängnis mehrfach im Auto umrundet zu haben, um mit ihm Kontakt aufzunehmen. Dreimal darf man raten, warum.

Brancher schwieg, und B. belohnte ihn mit politischen Posten. Er wurde Unterstaatssekretär in verschiedenen Berlusconi-Regierungen und B.s Verbindungsmann zu Umberto Bossi. Vor wenigen Wochen war ein neuer Freundschaftsdienst fällig. Wieder ermittelt die Justiz gegen Brancher, diesmal wegen Hehlerei und Unterschlagung, ein erster Anhörungstermin wurde für Ende Juni angesetzt. Auf die Einzelheiten kommt es nicht an, wichtig ist nur, dass B. seinen alten Kumpel auch jetzt nicht im Regen stehen ließ. Wozu ist man Regierungschef? Bekanntlich hat B. einiges auf den Weg gebracht, um sich und seine Kumpels vor dem Zugriff der Justiz zu schützen. Dazu gehört das Dekret zur „legitimen Verhinderung“, das es ihm und seinen Ministern erlaubt, gegen sie anhängige Prozesse beliebig hinauszuzögern. Es reicht die einseitige Mitteilung, an dem vom Gericht angesetzten Termin habe man von Amts wegen „zu tun“. Die Sache hatte allerdings einen Schönheitsfehler: Brancher war kein Minister. Also ernannte ihn B. einige Tage, bevor er zum G20-Gipfel nach Toronto entschwand und Branchers Gerichtstermin war, schnell noch zum Minister ohne Portefeuille. Der das sofort nutzte, um dem Gericht mitzuteilen, dass er den angesetzten Termin nicht wahrnehmen könne. Mindestens bis Oktober sei er mit der „Umstrukturierung“ seines Ministeriums beschäftigt. Es war allzu durchsichtig. Staatspräsident Napolitano, der ihn ein paar Tage vorher vereidigt hatte, gab zu Protokoll, dass es in einem Ministerium ohne Geschäftsbereich nichts gäbe, was „umstrukturiert“ werden könne, und somit Brancher durchaus zu seinem Gerichtstermin erscheinen könne. Der ist seitdem schwer irritiert, denn wozu ist er Minister geworden? Er ließ verlauten, hinter der Verlautbarung des Staatspräsidenten stehe „organisierte Bosheit“, da gäbe es wohl jemanden, „der gegen mich intrigiert“.

Da es in Italien immer noch Leute gibt, die sich daran erinnern, dass eine Regierung für das „allgemeine Wohl“ arbeite, kam es zum Skandal. Aber Skandale haben in Italien nicht mehr die Funktion, Missstände zu heilen, sondern tragen eher dazu bei, die demokratischen Organe noch schneller und gründlicher zu diskreditieren. Aus B. Umgebung ist zu hören, dass man Brancher nun wohl doch ein „richtiges“ Ministerium mit eigenem Geschäftsbereich geben müsse, damit er ein unanfechtbares Anrecht auf „legitime Verhinderung“ habe. Dazu sei noch eine kleine Kabinettsumbildung vonnöten, aber die könne man bis Ende Juli hinkriegen.

In alten Mythen gibt es einen Jungbrunnen, in den man steigt, um ewige Jugend zu erlangen. In Berlusconis Italien gibt es eine Institution, deren Wirkung kaum weniger wundersam ist: die Regierung. Sie ist ein Jungbrunnen für Straffreiheit. Garantiertes Ganovenehrenwort!