„Legitime Verhinderung“

Berlusconi fürchtet seine Prozesse wie der Teufel das Weihwasser. Nur so ist es zu erklären, dass er sich nicht mit dem Gesetzesdekret über den „Kurzen Prozess“ (wir berichteten) zufrieden gibt, welches bereits den Senat passiert hat. Und welches mit einem gesetzlichen Gewaltstreich Tausende von Prozessen verjähren lässt, mit dem einzigen Zweck, dass dabei auch seine beiden Verfahren eingestellt werden. Er will eine zweite Sicherung, auch sie ad personam. Man weiß ja nie, wer sich vielleicht noch beim „Kurzen Prozess“ querlegt, die „Kommunisten“ lauern überall, und wenn es wieder jemandem einfällt, das oberste Verfassungsgericht anzurufen… Die zweite Idee, sich den Prozessen zu entziehen, wenn man die Hebel der Gesetzgebung in der Hand hat, ist schlicht: Der Regierungschef erhält das Recht, unter Berufung auf „dringende Amtspflichten“ zu keinem Gerichtstermin zu erscheinen. Damit in der Regierung der Haussegen nicht schief hängt, werden auch alle Minister in dieses Recht einbezogen. Dafür genügt die einseitige Erklärung, man sei „legitim verhindert“, ohne dass das Gericht die Möglichkeit hätte, ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Das Gericht muss dann eben einen neuen Termin ansetzen, wobei das Gesetz vorbeugend festlegt, dass der Vorgeladene genauso einseitig auf eine „Dauerverpflichtung“ verweisen kann, die ihn bis zu sechs Monaten vom Erscheinen vor Gericht abhält. Aber dann, dann muss er erscheinen? Nichts da, dann kann das gleiche Spiel von vorne beginnen. Vielleicht höflichkeitshalber mit einer anderen Begründung (im ersten Halbjahr muss sich B. Tag und Nacht um Norditalien kümmern, im zweiten um Süditalien, und im dritten um…). Das Ganze ist ein „Übergangsgesetz“, welches nur für die nächsten 18 Monate gilt, um B. erst einmal für diesen Zeitraum über die Runden zu bringen. Bis dahin soll ein weiteres Gesetz aus der Taufe gehoben sein, welches B.s Immunität noch viel grundsätzlicher regelt. Und welches das oberste Verfassungsgericht passieren lässt.

Für Berlusconi und seine Leute ist die „Legitime Verhinderung“ eine wundervolle Ermächtigung, mit der Justiz nach Belieben Schlitten zu fahren. Man stelle sich vor, mit welchen Gefühlen sich künftig ein Richter um den nächsten Verhandlungstermin bemüht, wenn er seiner Pflicht genügen will, ein laufendes Verfahren weiterzuführen. Heißt der Beklagte Berlusconi, kann er jeden Termin platzen lassen. Mit dem Nebeneffekt, dass die involvierten Richter und Staatsanwälte auch noch der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Man kann unterstellen, dass auch das beabsichtigt ist.

Welch Geistes Kind Berlusconi ist, zeigt die zusätzliche Erweiterung, die ein früherer Entwurf des neuen Gesetzes enthielt. Eigentlich sollte es nicht ein Gesetz ad personam, sondern ad familiam werden. Wenn etwa ein Familienmitglied – zum Beispiel einer der Söhne von B. – zusammen mit ihm angeklagt war, sollte auch der gleich von der Pflicht, vor Gericht zu erscheinen, entbunden werden, wenn sich der Vater für „legitim verhindert“ erklärt. Der entsprechende Passus wurde von B.s juristischen Beratern wieder gestrichen – das Risiko erneuter Verfassungswidrigkeit schien zu groß. Jetzt bleibt dem Familienmenschen Berlusconi nur der Ausweg, dass er alle seine Kinder zu Ministern ernennt, was er – wie man sagt – im Falle ehemaliger Geliebter ja bereits fertig gebracht hat. Karl Kraus würde an dieser Stelle sagen: Das deutsche Wort „Familienbande“ enthält eben sehr viel Wahrheit.

Das neue Gesetz wurde Anfang Februar durch das italienische Parlament gepeitscht. Die Verabschiedung im Senat wird folgen.